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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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hätte verhindern müssen, daß sie überhaupt in seine Hände geriet! Aber er hatte zu lange
     gezögert. Statt München mit ihr zu verlassen, war er der Spur seiner Eltern nachgejagt, als bedeuteten sie für ihn das Lebensglück.
     Bedeutete die Suche nach den Eltern soviel? Er hatte Adeline dafür geopfert. Das war die bittere Wahrheit.
    Er setzte sich auf den Schneeberg. Gott hatte ihm eine große Möglichkeit eröffnet, er hatte ihm angeboten, sein Leben um eine
     märchenhaft schöne Frau zu erweitern, und er war blind dafür gewesen, hatte nur auf das Pergament des Vaters gestarrt. Nun
     hatte er nichts mehr. Alles war ihm in den Händen zerronnen.
    Kälte zog an seinem Gesäß herauf. Er konnte hier nicht sitzenbleiben. Seufzend stand er auf. Er sah zu Knochen hin. Der Hund
     hielt den Kopf hoch erhoben, er blickte die Straße hinunter. Alles an dem Tier war Wachheit, Aufmerksamkeit. Seine Muskelstränge
     waren angespannt, die Hinterläufe fest auf den Boden gestemmt.
    »Was hast du?« fragte Nemo.
    Die Bracke lief los. Unerwartet kräftig riß die Leine an Nemos |414| Arm. Er stolperte, fing sich, folgte dem Hund. Bald verfiel er in Laufschritt. Einige Männer standen an der nächsten Hausecke.
     Stürmte Knochen zu ihnen hin? Sie sahen erschrocken auf, da fuhr der muskulöse Hund schon mitten zwischen sie. Die Männer
     sprangen zurück. Sie hielten Mistgabeln, Sensen, Dreschflegel in ihren Händen. Was wollten sie damit? Knochen schnüffelte
     an der Hausecke, dann bog er in die Sendlinger Straße ein und rannte weiter. Er zog Nemo mit sich. Hier war ebenfalls eine
     Gruppe von Menschen unterwegs. Sie gingen in Richtung des Marktplatzes.
    Knochen verlangsamte seinen Lauf, richtete die Schnauze zu Boden und schnüffelte. Er rannte wieder los. Der Marktplatz öffnete
     sich vor ihnen. Menschen standen in kleinen Haufen zusammen. Schmiede hielten ihre Hämmer in der Hand, Fuhrmänner ihre Peitschen,
     einige Handwerksgesellen waren mit kurzen Schwertern bewaffnet, was bei höchsten Strafen verboten war. Bahnte sich ein Aufruhr
     an? Jemand trat an Nemo heran und sagte: »Haltet Euch bereit mit Eurem Hund. Diese Nacht gibt der Perfectus das Zeichen. Die
     neue Zeit bricht an.«
    Nach kurzem Schnuppern verließ die Bracke den Marktplatz wieder. Sie hielt sich nun auf der Neuhauser Straße in Richtung des
     Augustinerklosters. Knochen zerrte, hechelte. Er war ganz Jäger, schien nur noch die Beute im Sinn zu haben. Dann ein Ruck
     im Arm. Die Bracke schlug sich seitwärts in eine kleinere Straße.
    Wenige Schritte, nachdem er die Straße betreten hatte, blieb Nemo stehen. Er ließ die Leine los, Knochen stürmte voran und
     schleifte sie hinterher. Dort ging eine Frau. Über ihren groben Umhang fiel blondes Haar. Knochen holte sie ein, bellte, wedelte
     mit dem Schwanz. Die Frau drehte sich um.
    Adeline.
    Knochen duckte sich unter ihre Hand, ließ sich streicheln, rannte einige Schritte fort, kam zurück. Sein Schwanz peitschte
     die Straße. Er bellte. Er leckte Adeline die Hand. Er tobte, drehte sich auf der Stelle, schnüffelte an Adelines Füßen, als |415| müsse er sich versichern, keinem Irrtum erlegen zu sein, dann winselte er freudig, sprang an ihr hoch, tänzelte auf den Hinterläufen,
     fiel wieder auf alle vier Pfoten.
    Er kehrte zu Nemo zurück, wie um sich von ihm Lob zu holen. Aber Nemo stand reglos. Er sah Adeline auf sich zugehen. Tränen
     füllten seine Augen. Bald erkannte er die Geliebte nur noch durch einen Nebel.
    »Nemo?« sagte sie.
    Er blinzelte. »Ich wollte fort. Ich wollte mich nur verabschieden, ein letztes Mal auf die Suche gehen. Ich war mir sicher,
     daß du nicht mehr hier bist.«
    »Er hat mich gehen lassen.«
    »Amiel?«
    »Ich wollte zum Kaiser. Ihn warnen. Etwas stimmt nicht. Amiel schaut schon den ganzen Abend voller Verzückung zum Himmel.
     All diese Menschen – was passiert hier?«
    »Ich weiß es nicht. Aber inzwischen ist der Kaiser mit Sicherheit gewarnt. Wir sollten die Stadt verlassen. Kommst du mir
     mir?« Nun sah er endlich wieder klar. Ihr Gesicht war schmaler geworden. Die Hände, mit denen sie den Umhang vor der Brust
     zusammenhielt, waren fleckig. Aber sie lebte, und Knochen hatte sie gefunden. »Ja, Nemo. Ich gehe mit dir.« Sie trat an ihn
     heran, sehr nahe, und legte ihren Kopf an seine Brust. »Laß mich nie wieder allein.«
    Er schluckte. »Ich verspreche es.«
    Sie löste sich. »Ich habe noch etwas, das ich dir geben soll von Amiel.« Sie zog ein

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