Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
Papst auch mit einer großen Bestechungssumme aussichtslos in seinem Fall.
    |437| »Worum geht es?« fragte Ermenrich.
    »Sie werden am 22. Februar angreifen. Bereiten wir uns darauf vor.«
     
    Nemo setzte sich im Bett auf. Eine Maus nagte irgendwo hinter den Truhen, das Knispeln setzte immer wieder aus, dann nagte
     sie weiter. Er konnte nicht schlafen. Irgend etwas ließ ihm keine Ruhe, es war nicht die Maus, es war etwas in ihm drin, und
     er konnte nicht sagen, was es war. Alles war gut. Und doch nicht.
    Er hatte heute das Jaquette verkauft für einen Gulden, immerhin. Und er war mit Adeline in Sicherheit, sie hatten innerhalb
     weniger Tage Fuß gefaßt in Frankfurt. Adeline diente als Kammermädchen im Haushalt des Scholasters der Stiftsschule, er hatte
     sich einen kleinen Bauchladen zimmern lassen und verkaufte Kämme, bald würde er einen Wagen nehmen und außer Kämmen auch Bürsten
     und Seife und Schnüre verkaufen, er würde als reisender Krämer die umliegenden Ortschaften besuchen.
    Sie waren reich! Der Vertreter der
Compagnia
des Tommaso di Arnolfo aus Florenz hatte kaum sein Erstaunen verbergen können über das
Depositum
. Dank der zwölf Prozent Zinsen war das Vermögen angewachsen auf viertausendachthundertsiebzig Gulden. Nemos Frage, woher
     das immense Vermögen rührte, konnte der Bankangestellte nicht beantworten, aber es war seines, er besaß das
Depositum
und war damit einer der wohlhabendsten Bürger der Stadt. Er hätte mühelos ein Haus am Römerberg damit kaufen können, das prächtige
     Haus mit drei Geschossen, das sie »Römer« nannten, oder den »Goldenen Schwan«, Häuser mit zahlreichen Gemächern, Hallen, Kammern.
     Er tat es nicht. Irgend etwas hielt ihn davon ab, das Geld einzusetzen. Er ließ den Angestellten der
Compagnia
Verschwiegenheit schwören und entschied sich, die Summe vorerst unangetastet zu lassen.
    Woher die Unruhe? Woher das Wühlen in seinen Gedärmen, das Schieben und Saugen und Pochen im Bauch? Es war |438| doch alles gut! Adeline lächelte ihn immer öfter an. Heute erst hatte sie ihm eine Blume geschenkt und seine Hand an sich
     gezogen und sie geküßt. Zu spüren, daß sie ihn liebte, machte es ihm immer leichter, er selbst zu sein. Mit jedem Kleidungsstück,
     das er verkaufte, verlor er einen Teil seiner Masken, und am Ende würde nur Gebuin übrigbleiben, Gebuin, der Händler.
    Warum konnte er nicht schlafen? Woher rührte dieses Gefühl, einen großen Fehler zu begehen? Er starrte in die Dunkelheit seiner
     Kammer und versuchte, sich selbst zu verstehen. Er stand auf, lauschte an der Tür zu Adelines Kammer. Stille. Er schlich zu
     seiner Kleidertruhe, öffnete leise den Deckel. Das Knispeln der Maus verstummte. Er grub in den Kleidern, bis er das alte,
     zerschlissene Hemd gefunden hatte, das aus seinen Tagelöhnerzeiten stammte. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, es fortzuwerfen.
     War es nicht gut, ein Andenken aufzubewahren, das an die schlechten Tage erinnerte? Er roch daran. Es stank nach Schweiß,
     Kohlenstaub und Schweinemist. Der Geruch stach in der Nase.
    Er erinnerte an den Geruch verbrannten Haars.
    Plötzlich war es da, das Gefühl, das ihn beunruhigte, nur hundertmal stärker und mit einem Bild verknüpft: Er sah Amiel an
     einen Pfahl gebunden, sah, wie der Henker den Berg von Holzscheiten entzündete, der unter dem Perfectus aufgeschichtet war,
     sah Amiel den Kopf zum Himmel richten.
    Die Vorstellung tat ihm weh. Was, wenn es bereits geschehen war? Oder wenn es morgen geschah, während er hier in Frankfurt
     holzgeschnitzte Kämme verkaufte? Amiel und er waren einander ähnlich. War es nicht so? Auch Amiel trug eine Maske. Er war
     nicht er selbst, er spielte den Perfectus, meinte, ein sündloser Mensch sein zu müssen, um das Recht zu erlangen, zu leben
     und geliebt zu sein. Wer war er wirklich? Wer verbarg sich unter dieser Maske?
    Der Brief, den er Adeline mitgegeben hatte – das war der wahre Amiel gewesen. Er hatte sich ihm offenbart. Womöglich war Nemo
     der einzige, dem sich Amiel gezeigt hatte, wie er |439| wirklich war. Dann hatte er, Nemo, eine Verantwortung für diesen Mörder und Verführer der Massen. War der Brief nicht ein
     Hilferuf gewesen? Christus ist auch für die Mörder gestorben, hatte William Ockham gesagt. Vergebung sei das größte Wunder
     der Weltgeschichte.
    Es gab einen Menschen, der Amiel liebte. Er war dieser Mensch. Was, wenn die Liebe Amiel half, die Maske abzunehmen? Womöglich
     konnte das

Weitere Kostenlose Bücher