Das Mysterium: Roman
die
Straße, der Vater fegte, die Mutter und vier Kinder sammelten Abfälle in einen Kübel. Verarmte Bürger wohl, denen der Rat
die Steuern erlassen hatte für eine gewisse Anzahl von Arbeitstagen. Sie verneigten sich vor Vizenz. Gnädig murmelte er einen
Segen und schlug das Kreuz über ihnen.
Für den Inquisitor durfte es keinen Winkel der Stadt geben, den er fürchtete oder aus Eitelkeit mied. Vizenz kannte die krummen
Gassen, wo das Mauerwerk der Häuser brüchig war und Buschwerk Wurzeln faßte in seinen Rissen. Er kannte die Hinterhöfe und
die stinkenden Katen der Krüppel und Tagelöhner. Da ihn vor allem der Bericht vom Fest interessierte, würde er die anderen
beiden Spitzel heute nur kurz abhandeln. Er bog in einen schmalen Pfad ein, der sich wie durch eine Schlucht zwischen den
Häusern entlangwand, kaum breit genug für einen Mann. Vor einem kleinen Tor stieß er einen Pfiff aus.
Niemand kam.
Er pfiff erneut. Wartete.
|57| Endlich öffnete sich das Tor, und sein Spitzel steckte den Kopf heraus. »Herr Inquisitor! Ich bin … ich komme sogleich zu
Euch, bitte wartet nur einen Augenblick.«
Vizenz packte ihn am Kragen. »Was verbirgst du, Bursche?« Er hielt ihn fest und stieß währenddessen mit dem Ellenbogen das
Tor auf. Venk von Pienzenau stand da, der feine Pinkel, der Pfeffersack, der mit dem ketzerischen Kaiser buhlte! Venk war
reich, mit Geld hatte er ihm den Spitzel abspenstig gemacht, dessen war sich Vizenz sicher. »Was habt Ihr hier zu schaffen?«
herrschte er ihn an.
»Das ist allein meine Sache.« Venk rückte die Mütze aus feinem Atlas zurecht, die im sanften Abendlicht glänzte. An seinen
Fingern schimmerten goldene Ringe.
Wenn es etwas gab, vor dem Vizenz keinerlei Respekt hatte, dann war es Geld. Ein starkes Herz war unbestechlich, fand er.
Menschen, die wie Venk ihren Reichtum zur Schau stellten, machten ihn wütend. »Ihr denkt, Ihr seid mächtig genug, um Euch
mit der Inquisition anzulegen?«
»Ich verfolge eigene Geschäfte, Herr Inquisitor, die Euch nichts angehen.«
»Ach ja?« Er bedeutete dem Spitzel, daß er verschwinden solle. Er würde sich später um den Untreuen kümmern. »An Eurer Stelle
wäre ich vorsichtiger. Ihr wollt mir einen meiner Männer abspenstig machen? Dann richtet Euch auf Schwierigkeiten ein. Es
ist schon so mancher untergegangen, der meinte, das Geld könne ihn vor dem Zorn der Kirche bewahren.«
»Ihr droht mir?« Venks pockige Nase errötete, und der Mund verzog sich.
»Ich werde Euch überprüfen lassen, Venk. Wenn ich einen Makel finde, ein Stäubchen von Ungläubigkeit – ein Verfahren ist rasch
eröffnet.«
»Einem ehrenwerten Mann macht Ihr Vorwürfe, aber der Betrüger geht frei durch diese Stadt. Das ist München! Ha! Das ist München!«
»Von wem redet Ihr?«
|58| Venk ballte die Hände zu Fäusten. »Heinrich von Niedelschütz!« spie er vor Vizenz hin. »Der Schurke ist immer noch hier, und
er hat mich heute erneut gedemütigt. Mich, den Freund des Kaisers!«
Ein Mann, der Venk von Pienzenau demütigte? Das weckte Neugier. »Die letzte Bemerkung will ich überhört haben. Sagt mir, wer
dieser Heinrich von Niedelschütz ist.«
»Er tauchte vor drei Jahren bei mir auf und gab sich als Gesandter des Markgrafen von Meißen aus. Geleitbriefe hat er mir
gezeigt! Betrügerisches Schundwerk. Ich habe ihm geglaubt, habe ihn bei mir aufgenommen und ihn wochenlang durchgefüttert.
Eine neue Silbermine hätte man aufgetan bei Meißen, hat er mir zugeflüstert. Der Markgraf brauche dringend Geld. Er wolle
die Mine verpachten. Tag um Tag haben wir verhandelt. Von Niedelschütz wollte einen Vorschuß. Als ich aber Sicherheiten einforderte,
tat er beleidigt. Ich hätte kein Vertrauen in seine Person, sagte er, diese Kränkung werde er nicht hinnehmen. Er werde einen
anderen Partner ausfindig machen für das Geschäft.«
»Das hat er getan?«
»Er hat Briefe ausgesandt. Ich wurde mißtrauisch. Ich habe einen der Briefe abfangen lassen. Leeres Gewäsch! Mit List habe
ich eine Versöhnung vorgetäuscht, habe ihn hingehalten und währenddessen auf Antwort aus Meißen gewartet. Niemand kannte dort
einen Heinrich von Niedelschütz. Ich habe den Betrüger gestellt. Er ist mit einer Verwundung am Arm entkommen. Wochenlang
habe ich nach ihm suchen lassen. Ohne Erfolg. Er war fort, als hätte ihn der Erdboden verschluckt.«
»Und heute hat er Euch erneut gedemütigt, sagtet Ihr.«
»Ich habe ihn
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