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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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ein
     leises Fiepen aus. Mochte er es, gestreichelt zu werden?
    »Gehen wir ein Stück?« flüsterte sie. Immer kräftiger fuhr sie mit der Hand über den Kopf der Bracke. Der Schwanz des Hundes
     schlug auf den Boden, und er schloß bei jedem Handstreich für einen Augenblick die Augen.
    Sie erhob sich. Die Bracke stand ebenfalls auf und schüttelte sich. Sie reichte Adeline bis zur Hüfte. »Komm«, sagte Adeline
     und ging ein paar Schritte. Die Bracke folgte ihr, schwanzwedelnd. Der Hund war zweifellos stärker als sie. Aber er freute
     sich, ihr zu folgen.
    »Komm, wir gehen zum Hundehaus.«
    Die Gräfin nickte leicht.
    |69| Nemo wartete. Er betrachtete den Fremden, der dort kniete und betete. Seine Schultern hoben und senkten sich in ruhigen, regelmäßigen
     Atemzügen. Es schien ihn nicht zu stören, daß jemand den Raum betreten hatte.
    Endlich senkte der Fremde die Arme und sagte, ohne sich umzudrehen: »Hast du dich entschlossen, nicht mehr zu lügen?«
    Das Fenster zeigte zum Hof hinaus. Eine Amsel sang draußen in den Bäumen. Der Fremde konnte unmöglich gehört haben, was Nemo
     der Wirtin im Flüsterton vorgelogen hatte. Empfing er Botschaften von Gott? Konnte er die Gedanken anderer Menschen hören?
     Er wurde ihm immer unheimlicher. Nemo sagte: »Ja.«
    »Merke dir das für die Zukunft. Wenn du es nicht ertragen kannst, die Wahrheit zu sagen, dann ist es besser, du schweigst.«
     Langsam stand der Fremde auf und drehte sich um. Sein Bart war jetzt gestutzt und geölt. Die grünen Augen musterten Nemo.
     »Wie alt warst du, als dich deine Eltern dem Spitalorden übergeben haben?«
    »Ich kann mich an meine Eltern nicht erinnern.«
    »Aber der Meister hat es dir erzählt, nicht wahr?«
    »Ich war noch keine drei Jahre alt, hat er gesagt.«
    »Haben sie dir zum Abschied etwas gegeben?«
    »Ich weiß doch nicht einmal, wer sie waren! Ich weiß nichts.«
    »Setze dich auf das Bett.«
    Nemo gehorchte. Es war weich. Was wollte der Fremde von ihm?
    Er zog sich einen Stuhl heran und nahm Nemo gegenüber Platz. »Ich bin Amiel von Ax. Deine Eltern haben etwas für mich aufbewahrt.
     Ich möchte, daß du dir vor Augen rufst, wie sie sich von dir verabschiedet haben.«
    »Wäre schön, wenn ich das könnte. Ich erinnere mich an nichts.« Dieser Mann kannte seine Eltern? Wie viele Jahre hatte er,
     Nemo, versucht, etwas über sie herauszufinden, und jetzt saß da jemand, für den sie etwas aufbewahrt hatten! Zumindest |70| behauptete er es. Sehnsucht wallte in ihm auf, Sehnsucht nach den Unbekannten, die sein Ursprung gewesen waren. Er mußte aufpassen,
     er war verletzlich, viel zu verletzlich.
    »Schließe die Augen. Du wirst dich erinnern. Wie sah der Eingang des Ordenshauses aus? Ich habe das Tor nie gesehen. Du aber
     tausendmal. Mach die Augen zu, und beschreibe es mir.«
    Er hatte das Tor nie gesehen? Dann mußte er den Meister woanders getroffen haben. Zu Pfingsten bei den Ordensversammlungen
     vielleicht, bei den Kapiteln? Nemo schloß die Augen. Öffnete sie wieder. »Draußen warten Schurken auf mich. Sie fordern Geld,
     zwei Gulden, sonst liefern sie mich an Venk von Pienzenau aus, und mit dem ist nicht zu scherzen. Wenn Ihr mich als Diener
     in Eure Dienste nehmen würdet, dann könnte ich es ihnen bezahlen. Ich lerne schnell, Herr Amiel.«
    »Du bekommst das Geld. Jetzt denke nach. Wie sah das Tor aus?«
    »Ihr gebt mir die Summe?«
    »Wenn du dich jetzt bemühst. Schließe die Augen.«
    Also konnte er Lügen doch nicht erspüren. Oder er zeigte es diesmal nicht. Nemo gehorchte und kniff die Augen zu. »Das Tor
     war alt. Und groß.«
    »Genauer!«
    Er entspannte die Augenlider. Ein Bild erschien. »Die Balken waren schadhaft. Wenn es geregnet hat, haben sie sich mit Wasser
     vollgesogen. Dann hat es unten getropft, als würde Wasser aus dem Tor laufen, und das Holz war schwarz.«
    »Gut. Mach weiter.«
    »Zwischen den Balken hing Moos. Grüne dunkle Batzen. Und die Angeln des Tors haben geknarrt, jedesmal, wenn es geöffnet wurde.«
    »Jetzt erinnere dich, wie du es zum erstenmal gesehen hast.«
    Nemo bemühte sich, aber es fiel ihm nichts ein. »Das geht nicht«, sagte er.
    |71| »Was siehst du?«
    »Ich habe meine Eltern nie gesehen, und an meine Ankunft beim Spitalorden kann ich mich nicht erinnern.«
    »Du hast keine Erinnerungen?«
    »Ich …« Nemo zögerte. War es klug, das zu sagen? Seine Instinkte warnten ihn davor, allzuviel preiszugeben. »Ich habe manchmal
     diese Bilder im Kopf, diese

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