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Das Mysterium: Roman

Das Mysterium: Roman

Titel: Das Mysterium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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Täuschungen, die Namen. Kunrad Teufelhart. Arnold Minnepeck. Heinrich von Niedelschütz. Hans Schwilwatz von Schwilwazenhausen.
     Heinrich Pfanzelter.
    Konnte er jeder sein, der er sein wollte, weil er in Wirklichkeit niemand war? Nemo.
Niemand.
Er war nicht stolz auf seine Fähigkeit. Er haßte sie. Sie ermöglichte ihm den Lebensunterhalt, das war alles. Ob er eines
     Tages wie ein Handwerker Geld verdienen würde, ohne zu betrügen, ohne sich für einen anderen ausgeben zu müssen?
    Er mußte das hier überleben, irgendwie. Dann würde er von Amiel die Namen seiner Eltern in Erfahrung bringen und schließlich
     nach Paris reisen, um sie zu suchen. Wenn sie nicht in Paris waren, würde er in weitere Städte reisen, so lange, bis er sie
     gefunden hatte. Er mußte dieser Fährte in seine Vergangenheit folgen. Wie sonst sollte es ein Ende nehmen mit den Verstellungen?
    |138| Morgen kamen sie mit Zangen, mit Spießen, mit Daumenschrauben. Er hatte die Hölle vor sich. Welche Namen wollten sie von ihm
     hören? Am Ende würde er Namen brüllen, irgendwelche Namen, in der Hoffnung, daß man ihm glaubte und von seinem Körper abließ.
     Vielleicht sollte er sie sich jetzt schon überlegen.
    Oder würde Amiel ihn retten, wenn ihm Adeline von seiner Lage berichtete? Er hörte immer noch ihre sanfte Stimme, wie sie
     fragte: »Hast du Schmerzen?« Für sie war er nicht wertlos. Sie versuchte ihn hier herauszuholen.
    Das Würfelklappern und Lachen verstummte nebenan. Eine Weile war es still, dann wurde der Riegel seiner Tür beiseite geschoben.
     Kamen sie jetzt schon? Wollten sie ihm die Augen ausstechen oder die Zehen abtrennen? Sein Herz flatterte.
    Einer der Wachmänner öffnete die Tür. Er sagte: »Hoch mit dir!«
    Nemo stand auf.
    Der Wachmann zog einen kleinen Schlüssel hervor, bückte sich und öffnete das Eisenschloß an seinem Fuß. Er packte Nemo am
     Arm und zog ihn in die Wachstube. »Geh, du bist frei.«
    Frei?
    Mit weichen Knien passierte Nemo die Männer in der Wachstube. Niemand stieß ihn, niemand packte ihn und warf ihn zu Boden.
     War es eine Falle? Trieben sie ihren Spott mit ihm? Draußen stand ein Mann. Nemo konnte ihn nicht erkennen, er stand im Dunkeln
     und drehte ihm den Rücken zu. Aber er sah die goldenen Ringe an den Fingern.
    »Nein«, sagte er. »Ich gehe nicht.«
    Die Wachleute sahen ihn verblüfft an.
    »Ich gehe nicht«, wiederholte Nemo.
    Da drehte sich Venk von Pienzenau um. Der Pelzbesatz seines Mantelkragens sträubte sich im Nachtwind. Er sah Nemo ernst ins
     Gesicht und drückte vor dem Bauch die kleinen Finger aneinander.
    |139| Am Talburgtor blieb Adeline stehen. Wie sollte sie den Fleischhacker finden? Es war Nacht. In irgendeinem Haus, wahrscheinlich
     hier im Angerviertel, schlief der Mann seinen verdienten Nachtschlaf. Aber sie mußte ihn sprechen, sie mußte verhindern, daß
     Heinrich gefoltert wurde! Vielleicht holten sie ihn beim ersten Hahnenschrei. Dann war alles zu spät.
    Der stumpfe, bleierne Geruch von Blut hing in der Luft. Adeline betrat den Sandershof. Sie näherte sich dem städtischen Schlachthaus.
     Eine Katze fauchte und vertrieb eine Feindin von einem Faß an der Wand. Sie jagten sich quer über den Hof, mauzend, keifend.
     Adeline sah ihnen nach. Kaltes Wasser netzte ihren Fuß. Eine Pfütze. Rasch nahm sie den Fuß heraus und schüttelte ihn.
    Das Schlachthaus war dunkel. Allerdings schien es, als stünde das Tor zur Verkaufshalle um einen Spalt offen. Hatten sie vergessen,
     die Halle zu verriegeln? Sie trat näher heran. Ein schwacher Lichtschein glomm im Inneren der Halle. Welches Glück! Jemand
     arbeitete in der Nacht, einer, den sie nach dem Glatzköpfigen fragen konnte!
    Adeline blieb stehen. Was, wenn es kein Fleischhacker war? Wenn Straßenräuber im Schlachthaus untergeschlüpft waren oder diebisches
     Gelichter darin die Schlachtabfälle zusammenklaubte?
    Heinrich brauchte ihre Hilfe. Sie mußte den Glatzköpfigen finden. Sie nahm allen Mut zusammen, atmete tief ein und wieder
     aus und schlüpfte durch das Tor.
    In zwei langen Reihen standen die Fleischbänke dicht an dicht. Blutige Häute lagen darauf, Reste von Gedärmen, Knorpel, Sehnen,
     Knochen. Es stank stärker als draußen nach Blut, bleiern und stumpf, hier drin kam dazu der säuerliche Geruch von totem Fleisch.
    Am anderen Ende der Halle brannte eine Fackel. Dort standen drei Männer und redeten.
    »Was habe ich dir gesagt? Was passiert, wenn du mir noch einmal nachreist?«
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