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Das Nebelhaus

Das Nebelhaus

Titel: Das Nebelhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Berg
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ganz verschwunden, ähnlich wie in Edgar Allen Poes Der Untergang des Hauses Usher , und alle Menschen, die je darin gewohnt hatten, wären mit ihm verschwunden.
    Gerade hatte ich diese der Beklommenheit geschuldete Vorstellung abgeschüttelt, als ich die erste Tote vor mir liegen sah.
    Die verblasste, aber noch gut erkennbare Kreidemarkierung auf dem Boden zeigte die unteren Gliedmaßen eines menschlichen Körpers. Aus dem Kommuniqué der Staatsanwaltschaft wusste ich, dass es der Körper von Frau Nan war. Dort, direkt am Hauseingang, war sie erschossen worden. Ihre Beine waren stark angewinkelt gewesen, so als hätte sie sich im letzten Moment schützend einrollen wollen oder aus dem Instinkt heraus, sich am äußersten Ende des Lebens ganz an dessen Anfang zu begeben.
    Schon jetzt pochte mein Herz bis zum Hals, dabei hatte ich die Pforte zum Grausigsten noch nicht einmal aufgeschlossen. Nachdem das getan war und die Haustür sich langsam öffnete, gab sie den Blick frei auf den Torso, die oberen Gliedmaßen und den Kopf der Getöteten. Hier war die Markierung noch sehr deutlich, als wäre sie erst gestern angebracht worden. Mit der Hand vor dem Mund blieb ich auf der Schwelle stehen, unfähig, auch nur einen Schritt zu tun, und spähte auf den Augenblick eines Todes hinab.
    Frau Nan hatte den linken Arm vor die Augen gelegt, eine Geste, die sowohl Schrecken als auch Würde enthielt. Viele Jahrhunderte lang war es Brauch – und in einigen Kulturen ist es noch heute so –, dass Sterbende ihr Gesicht verhüllten. In Pompeji fand man zahlreiche Leichen, die sich in der Sekunde, bevor die Lava über sie hinwegrollte, vom Schrecken erfasst der altrömischen Würde besannen. Frau Nans rechter Arm war hingegen weit ausgestreckt, die Finger waren gespreizt in einem letzten ohnmächtigen Versuch der Abwehr.
    Der Anblick war weit schlimmer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Dass die Markierungen noch vorhanden sein könnten, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Dazu diese entsetzliche Gebärde … Ich suchte einen Weg um die Zeichnung herum, es war mir zuwider, über sie hinwegzulaufen, als wäre es nur irgendeine Kritzelei.
    Wie schafft Herr Nan das bloß?, schoss es mir durch den Kopf. Wie konnte er auf dem Umriss seiner Frau herumtrampeln? Und das musste er. Es war nämlich, wie ich rasch bemerkte, schlicht unmöglich, ins Haus zu gelangen, ohne auf die Markierung zu treten, allen Verrenkungen zum Trotz. Ich fasste mir schließlich ein Herz, weil ich Frau Nan nicht persönlich gekannt hatte, und überwand meine Skrupel. Kein Wunder, dass Yim hatte passen müssen, ich verstand ihn nun noch besser als zuvor. Zu gerne hätte ich gewusst, was der Witwer dabei fühlte, wenn er mit seinem ungelenken Körper und den kurzen Beinen über die Kreidespuren hinwegschritt.
    Meine Beklemmung besserte sich keineswegs, als ich im Flur stand. An der Garderobe hingen noch mehrere leichte Jacken, ein Kapuzensweatshirt, der rosafarbene Anorak eines Mädchens … Darunter standen Kinderschuhe in Reih und Glied, außerdem ein Paar rote Cowboystiefel, Boots, Herrenhalbschuhe, Pumps, abgetragene Turnschuhe und schwarze Sandalen. Es sah aus, als wären die Bewohner nur eben kurz weg. Da die Größen sehr unterschiedlich waren, erkannte ich, dass einige Schuhe den Gästen des Wochenendes gehört hatten, und erlag der makabren Versuchung, sie zuzuordnen. Die fliederfarbenen Pumps schienen mir in ihrer Puppenhaftigkeit Leonie zu gehören, die rustikal-flippigen Cowboystiefel vielleicht Yasmin, die eleganten Sandalen Vev, die abgetragenen Turnschuhe Timo und die soliden Herrenhalbschuhe Philipp.
    Im Wohnbereich, der aus riesigen, ineinander übergehenden Fluchten bestand, erwartete mich ein Schreck ganz anderer Art. Dort sah es aus, als wären Einbrecher am Werk gewesen. Dutzende Papierbögen lagen auf dem Dielenboden verstreut, teils waren sie beschriftet, teils blank, dazwischen Bücher, Wein- und Whiskygläser, Kissen, eine zerknüllte Tischdecke und allerlei Krimskrams. Eine Stehlampe war umgestürzt, die Türen einer Kommode standen weit offen, Bilder hingen schief, ein weißer Volant war größtenteils aus der Schiene gerissen, so als hätte sich jemand im Fallen daran festgehalten. Hier entdeckte ich keine Markierung, wusste aber, dass irgendwo im Haus noch weitere sein mussten.
    Durch die meterhohen Fensterwände sah ich in den dichten Nebel hinaus, der das Haus zu tragen schien wie eine Götterburg. In welche Himmelsrichtung ich mich

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