Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Nest des Teufels (German Edition)

Das Nest des Teufels (German Edition)

Titel: Das Nest des Teufels (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
Vom Netzwerk:
Saara arbeitete in einem Buchhaltungsbüro am Marktplatz von Kuopio, wir trafen uns in ihrer Mittagspause. Ich hatte gebeten, das Hotelzimmer etwas länger behalten zu dürfen, denn ich wollte nicht in aller Öffentlichkeit mit Saara reden.
    Sie war klein und zart wie ein Kind, es fiel mir schwer zu glauben, dass sie schon sechsundzwanzig und Mutter eines neunjährigen Kindes war. Ihre langen blonden Haare waren von der Stirn an geflochten und zu einem Knoten aufgesteckt; diese Frisur und die Brille ließen sie wie ein kleines Mädchen aussehen, das eine Erwachsene spielt. Als einziger Schmuck baumelte ein goldenes Kreuz über dem grauen Pullover.
    «Angenehm», sagte sie und gab mir die Hand, als sei ich eine neue Klientin des Buchhaltungsbüros. In meinem Zimmer gab es einen kleinen runden Tisch mit zwei Sesseln und einen Wasserkocher. Ich bot Saara an, Kaffee aufzugießen, doch sie wollte nicht einmal Tee.
    «Du möchtest also Vanamo kennenlernen?»
    «Ja. Ich habe außer ihr keine Geschwister.»
    «Wir sind auch nur vier, ich bin die Jüngste. Mehr Kinder hat Gott meinen Eltern trotz ihrer Gebete nicht geschenkt. Es kommt nicht immer so, wie man es sich wünscht», erklärte Saara. Sie sah mir fest in die Augen und fragte in forderndem Ton: «Hast du diesem Kurkimäki vergeben, dass er deine Mutter getötet hat?»
    «Natürlich nicht! Es gibt Dinge, die man nicht verzeihen kann.» Meine Atmung beschleunigte sich, und mir wurde übel, wie fast jedes Mal, wenn ich an Keijo Kurkimäki dachte. Der Mann ist der Teufel in Person, hatte Onkel Jari gesagt.
    «Dann nagt es an deiner Seele. Mir hat es geholfen, als der Pfarrer mir vergeben hat, dass ich ein uneheliches Kind geboren hatte. Nachdem ich von meiner Sünde gereinigt war, fiel es mir leicht, auch Kurkimäki zu vergeben.»
    Ich starrte die Kindfrau entgeistert an. Am liebsten hätte ich sie geschüttelt.
    «Aber es war doch nicht deine Schuld, dass Kurkimäki dich vergewaltigt hat!»
    Saara hatte nicht abgetrieben, obwohl selbst die Laestadianer es in dieser Situation wohl erlaubt hätten. Sie behauptete, sie habe ihren Entschluss selbst gefasst, ohne Druck, und ihn niemals bereut. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war, ein Kind aufzuziehen, das als Folge einer Gewalttat entstanden war, ein Kind, in dessen Adern das Blut eines Mörders und Vergewaltigers floss. Dasselbe Blut wie in meinen Adern.
    Saara spürte meine Verwirrung und sprach freundlich weiter: «Ich liebe Vanamo und bin glücklich, dass ich sie habe. Meine Schwester Raakel hat schon acht Kinder, und das neunte ist unterwegs. Ich kann mich ganz auf Vanamo konzentrieren.»
    «Es bleibt dir also erspart, dich zu vermehren wie ein Kaninchen, weil du vergewaltigt wurdest und deshalb für die Männer eurer Sekte nicht mehr gut genug bist?», fuhr ich Saara so heftig an, dass ihre Gelassenheit bröckelte. Sie lehnte sich zurück, und mir wurde klar, dass ich gerade meinem Vater geglichen hatte, dass seine Wut in mir aufgewallt war.
    «Entschuldige. Ich verstehe das einfach nicht.»
    «Du musst es verstehen, wenn du dich mit Vanamo treffen willst. Sie darf nicht zu sehr in Verwirrung gebracht werden. Sie ist mein Kind, und ich entscheide, welche Wertvorstellungen ich ihr mitgebe. In meiner Welt herrschen Liebe und Vergebung. Wenn du fähig bist, diese Werte zu teilen, bist du im Leben meiner Tochter willkommen.»
    In meiner Ratlosigkeit stand ich auf, ging ins Bad und wusch mir das Gesicht. Was verlangte diese Frau von mir? Ich war keine Heilige, die auch die andere Wange hinhielt, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut, das notfalls zurückschlagen würde, solange es die Arme bewegen konnte. Die Glaubenssätze klangen schön, wenn sie von der Kanzel verkündet wurden, aber gegen Menschen wie Kurkimäki halfen sie nicht.
    Doch es lag an mir, mich entweder zu fügen oder die Chance zu vertun, meine gerade erst gefundene Schwester wiederzusehen. Ich trank Wasser aus dem Hahn, trocknete mir das Gesicht ab und kehrte ins Zimmer zurück. Saara hatte die Hände wieder in den Schoß gelegt und blickte mich ruhig an. Ich bat sie, mir zu sagen, was ich verstehen müsse. In dem schmalen Bett in Leysin flüsterte ich es David zu:
    «Dass ich die Erziehungsprinzipien von Saara und ihren Eltern nicht in Frage stellen darf. Vanamo bekommt in der Schule schon genug widersprüchliche Informationen. Ich muss auf Saaras Seite stehen. Von unserem gemeinsamen Vater darf ich nicht hasserfüllt sprechen, ich darf höchstens

Weitere Kostenlose Bücher