Das Nest des Teufels (German Edition)
registriert. Gintare ließ den Jungen bei ihrer Mutter und kehrte nach Tallinn zurück, um sich als Prostituierte ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als Deividas’ Oma starb, steckte man ihn in ein Waisenhaus. Gintare war zu krank und zu arm, um es zu verhindern, jede Krone und jeder Dollar, die sie mit ganzem Körpereinsatz verdiente, gingen für Drogen drauf. Aber immerhin teilte sie mir mit, wo der Junge war. Sie wollte, dass ich es erfuhr, bevor sie starb.»
«Ich habe meine Frage falsch gestellt. Wie hat Gintare dich aufgespürt? Du bist doch angeblich unauffindbar.»
Wir fuhren an einem Lokal vorbei, vor dem Menschen mit großen Bierkrügen standen und rauchten. Ihre Münder bewegten sich, als würden sie singen, aber im Wagen war nichts zu hören.
Juri Trankow hatte Gintare gekannt und von dem Kind gewusst. David hatte sein Geheimnis also doch nicht so gut verbergen können, wie er glaubte.
«Durch Jaan. Und durch meine Eltern. Gintare hat sich mit meinen Eltern in Verbindung gesetzt, und die haben ihr Jaans Nummer gegeben, weil sie nicht wussten, wen sie sonst hätte anrufen können. Jaan hat mich natürlich ausfindig gemacht, obwohl er nicht mehr Kass ist.»
Jaan Rand war Davids Verbindungsmann bei der estnischen Europol gewesen, unter dem Decknamen Kass. Nachdem er der Unzucht mit Minderjährigen überführt worden war, hatte er den Dienst quittieren müssen.
Im vergangenen Herbst hatte ich in meiner Verzweiflung Davids Eltern in Tartu angerufen. Während des Gesprächs war deutlich geworden, dass sie nie von einer Hilja gehört hatten. Das hatte mir das Gefühl gegeben, völlig unbedeutend zu sein. Aber zu Jaan Rand hatte David offenbar grenzenloses Vertrauen.
«Weil Gintare Heroin brauchte, hat sie auch meine Gegner wissen lassen, dass ich möglicherweise auf dem Weg nach Kaunas war.»
«Sie war bereit, ihren eigenen Sohn in Gefahr zu bringen?»
«Du hast offenbar keine Ahnung, was es bedeutet, heroinsüchtig zu sein. Immerhin war Gintare selbst als Todkranke nicht dumm, sie brachte es fertig, zwei Herren zugleich zu dienen. Als Gezolians Männer am Ufer der Memel auftauchten, waren Deividas und ich schon in Polen.»
David, der Unbesiegbare, der mit seiner Schleuder in ganz Europa schoss und traf. David, der so viele Leben hatte wie ein ganzer Wurf Katzen. Ich glaubte, einen leicht angeberischen Ton aus seinen Worten herauszuhören: Da siehst du mal, wie gut ich bin! Mike Virtue zufolge rächte sich übertriebene Selbstsicherheit früher oder später; das hatte er mir immer wieder gepredigt, wenn ich mich beim Judo mit Männern anlegte, die zwanzig Kilo schwerer waren als ich. Aber natürlich war Selbstsicherheit auch nützlich, denn man musste schon an den Erfolg glauben, um so tollkühne Aktionen durchzuziehen wie David.
Wir kamen nach Aigle. Die Straßen waren so schmal, dass es schwierig war, die Limousine um die Kurven zu steuern, und als uns ein Lokalzug entgegenkam, musste David auf den Bürgersteig ausweichen. Er hielt am Bahnhof und bat mich zu warten. Fünf Minuten vergingen, dann zehn, ich wurde unruhig. Hatte Gezolian uns eine Falle gestellt?
Der Bahnhof wurde bereits geschlossen, es war fast elf Uhr. Ich spähte nach vorn. David hatte die Schlüsselkarte stecken gelassen. Sollte ich wegfahren? Als ich gerade die Tür öffnen wollte, sah ich David zurückkommen. Er trug ein Päckchen in der Hand, das aussah wie eine große Pralinenschachtel und nicht viel zu wiegen schien. Vorsichtig legte er es auf den Beifahrersitz.
«Was ist da drin?», fragte ich, als er den Motor anließ.
«Weiß ich nicht. Es ist als Kurierpost mit dem Zug gekommen, wird also nicht besonders wertvoll sein. Vielleicht will Gezolian seiner Tochter nur ein Seidentuch für ein paar tausend Franken schenken, das Päckchen wiegt nämlich fast nichts.»
«Du hast also nicht vor, es zu öffnen?»
David lachte auf. «Das kannst du ja übernehmen, schließlich bist du heute Nacht unter demselben Dach wie das Päckchen! Neugier ist der Tod der Katze, Hilja.»
Ich wollte gerade schnippisch erwidern, für Luchse gelte das aber nicht, da schnitt ein Motorrad unsere Vorfahrt. David trat auf die Bremse, hupte und konnte im letzten Moment ausweichen. Der Motorradfahrer raste ungerührt weiter und bog an der nächsten Kreuzung nach links ab. Obwohl Aigle mehrere hundert Meter tiefer lag als Leysin, herrschte auch hier Frost.
«Ein seltsames Wetter zum Motorradfahren», dachte ich laut.
David ließ sich von meinem
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