Das Nest des Teufels (German Edition)
durch die vertrauten Straßen nach Norden. Obwohl die Menschenmassen der Großstadt mich umgaben, war ich so allein wie in Hevonpersii.
Ich bestellte eine Virgin Mary und setzte mich in die hinterste Ecke der Bar. Dennoch entdeckte Gezolian mich sofort, als er eine Minute vor der vereinbarten Zeit eintraf. Diesmal war Lescha nicht bei ihm. Ich hatte von Julia erfahren, dass ihr Vater im selben Hotel wohnte wie wir. Eine Kellnerin folgte ihm mit einem Cognacglas. Das Getränk verströmte einen intensiven Geruch, offenbar war es kein Cognac, sondern Calvados.
«Hat das Essen geschmeckt?», fragte ich im Plauderton.
«Die Austern Rockefeller waren zu trocken, aber die Seezunge hat hervorragend geschmeckt. Falls es dich wirklich interessiert.»
«Das Glück meiner Auftraggeber liegt mir am Herzen. Sie wissen es doch zu schätzen, dass ich gut auf Ihre Tochter aufpasse, Herr Gezolian.»
«Das weiß ich sehr wohl zu schätzen, aber es ist nicht das Einzige, was ich von dir will. Zufrieden bin ich erst, wenn du mir David Stahl lieferst. Lebend. Ich will ihn persönlich erledigen.»
Obwohl ich etwas in der Art erwartet hatte, fühlte ich mich, als hätte Gezolian mich geschlagen. Der Tomatensaft, mit dem ich meine Lippen befeuchtete, schmeckte bitter.
«Stahl und ich haben nichts mehr miteinander zu tun. Er hat mich in der Toskana sitzengelassen, ohne ein Wort. Ich habe keine Ahnung, wo er steckt.»
Gezolian lachte auf.
«Wirklich nicht, Hilja?»
Ich versuchte mich zu erinnern, wie gekränkt und wütend ich damals gewesen war, versuchte, mich in den Gefühlszustand vom vorigen Herbst zurückzuversetzen, der mich in Juri Trankows Arme getrieben hatte.
«Nein! Der Kerl hat alles bekommen, was er von mir wollte. Rytkönen lag völlig daneben mit seinem Verdacht, Stahl hielte sich bei mir oder im Sans Nom versteckt. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er in Montemassi verschwand, und ich will ihn auch nie wiedersehen.»
«Aber ich befehle dir, genau das zu wollen.» Gezolian schwenkte sein Glas. Der satte Apfelkerngeruch des Calvados stieg mir über den Tisch hinweg in die Nase. Er hielt das Glas über die brennende Kerze, sodass sich das Licht in der bronzeroten Flüssigkeit spiegelte.
«David Stahl ist nicht so gerissen, wie er glaubt. Tatsächlich hat er der Pipeline-Firma einen Dienst erwiesen, indem er Wasiljew das Isotop stahl, deshalb wurde seine Mordtat unter den Teppich gekehrt. Die Herrschenden waren der Meinung, dass er ein freier Mann bleiben durfte, aber der Mord an diesem Italiener ist etwas anderes, der war nicht von Europol abgesegnet. Hat er dir davon erzählt?»
«Nein.»
«Mir ist es an sich egal, wo das Isotop gelandet ist. Ich bin Kaufmann, ich will nur mein Geld. Aber ich habe nicht die volle Summe bekommen, deshalb muss Stahl für seinen Betrug büßen. Sieht er immer noch so aus?»
Gezolian legte sein iPhone auf den Tisch und fummelte eine Weile daran herum. Auf dem Display erschien ein Foto, das David so zeigte, wie er bei unserer ersten Begegnung ausgesehen hatte: muskulös, glatzköpfig und im Tarnanzug. Seine hellblauen Augen lagen tief, die Stirnfalten waren im harten Licht deutlich zu erkennen.
«Woher soll ich das wissen? Ich habe ihn seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen.»
«In der Toskana war er meiner Quelle zufolge dunkelhaarig. Dort hat er hoch gepokert und versucht, meinem guten Freund Chagall zu entlocken, woher das Isotop stammte. Natürlich mussten wir ihm den Mord an diesem unseligen kleinen Knilch in die Schuhe schieben. Du verstehst doch, Hilja, dass es manchmal einfach nötig ist, Menschen aus dem Weg zu räumen? Vielleicht müsste ich mich bei dem finnischen Polizisten dafür bedanken, dass er Rytkönen umgelegt hat. Der Kerl war zu gierig, er wäre mir früher oder später zur Last gefallen. Der Polizist, wie immer er heißt, war mir nützlich, ohne es zu wissen. Die Dinge regeln sich stets zu meinen Gunsten, Hilja. Es lohnt sich also nicht, sich querzustellen.»
«Aber ich habe keine Ahnung, wo Stahl steckt! Er hat auf keine meiner Nachrichten reagiert. Ich kann Ihnen nicht helfen.»
«Kannst du nicht, oder willst du nicht? Liebst du Stahl noch?»
«Nein! Ich weine keinem nach, den ich nicht kriegen kann. Unerfüllbare Träume hake ich ab.» Ich sah nicht Gezolian an, sondern die Tischplatte, dann fuhr ich mir durch die Haare, als hätte ich die Fassung verloren. Ich würde David dreimal verleugnen, oder auch dreißigmal, wenn es nötig war, um ihn zu
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