Das Nest
sich hinüber, um ihr Glas neu zu füllen. Sie nahm noch einen ausgiebigen Schluck und zitterte, als sie den Alkohol zu spüren begann. Deborah massierte langsam die verkrampften Muskeln in ihrem Nacken. »Arme Lin«, sagte sie. »Sie setzen dir ganz schön zu, nicht wahr? Du hast nie daran geglaubt, daß Kompromisse auch ein Zeichen für Stärke sein können, stimmt’s?«
Lindsay runzelte die Stirn. »Das ist es nicht. Es kommt mir nur so vor, als ob immer ich die ganzen Kompromisse eingehe, oder besser gesagt, Opfer bringe.«
»Aber das muß sie doch auch. Auf einmal, nach Jahren des Alleinwohnens und mit dem Job, in dem Frau einfach Raum für ihre eigene Lebensweise braucht, bricht diese Wilde plötzlich in ihr Leben ein und zerstört ihre angenehme Routine, stürmt dank ihrer herrlich unregelmäßigen Dienstzeiten zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Tür herein und haßt die Leute, zu denen sie nett sein muß, um ihr Prestige in der literarischen Welt nicht aufs Spiel zu setzen. So fürchterlich einfach kann es für sie ja wohl auch nicht sein. Also, mir scheint, daß sie recht vernünftig reagiert: Sie versucht nur, sich selber treu zu bleiben.«
Lindsay warf ihr einen verletzten Blick zu. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß du Cordelias Partei ergreifst.«
»Ich ergreife keine Partei. Und die Reaktion sagt eigentlich ohnehin schon alles, Lin«, entgegnete Deborah und ein scharfer Ton mischte sich in ihre Stimme. »Ich versuche nur, dir ihren Blickwinkel zu zeigen. Hör zu, ich denke daran, wie ihr beide gerade ein halbes Jahr zusammen wart: Nie zuvor hab’ ich dich so glücklich erlebt. Ich hab’ dich gern wie eine Schwester, Lin, und ich möchte dich wieder so glühen sehen wie damals. Dich über Cordelia zu beschweren, nützt da gar nichts. Rede mit ihr darüber. Zumindest versteht ihr euch noch im Bett – bau darauf auf. Erwarte nicht telepathische Fähigkeiten von ihr. Wenn sie dich liebt, wird sie dich nicht hinauswerfen, nur weil du ihr mitteilst, daß du nicht alles, was du brauchst, von ihr bekommst.«
Lindsay seufzte. »Leichter gesagt als getan.«
»Das weiß ich. Aber du mußt es versuchen. Offensichtlich ist es nicht zu spät. Wenn du mit mir ins Bett gegangen wärst, um dir deine Autonomie zu beweisen, würde ich sagen, du steckst tief in der Scheiße. Aber Gott sei Dank bist du noch nicht so weit unten. Also komm, trink aus und ab ins Bett. Du kannst Caras Koje haben, wenn du’s nicht schaffst, in einem Bett mit mir zu liegen und mich nicht anzurühren.«
»Also, wer ist da arrogant?«
Lindsay stand neben dem Teekessel und wartete, daß das Wasser zu kochen anfing. Sie beobachtete Deborah, die im morgendlichen Licht wohlig ausgestreckt dalag und den Blick auf mittlere Entfernung gerichtet hielt. Im Schlaf war die Klarheit, die sie nach dem Gespräch mit Deborah empfunden hatte, an den Rändern etwas ausgefranst. Aber wenn sie ganz ehrlich war, wußte sie, daß sie in erster Linie ihre Beziehung zu Cordelia in Ordnung bringen wollte, und Deborah hatte ihr gezeigt, daß das möglich war.
Sie machte Kaffee und brachte ihn hinüber zu Deborah. Lindsay nahm auf dem Bett Platz und legte ihre Arme um die Freundin. Seit Monaten fühlte sie sich zum ersten Mal wieder eins mit sich selbst. »Falls vor Gericht etwas schief gehen sollte, würde ich gern auf Cara achtgeben, wenn du mich läßt«, murmelte sie.
Deborah zuckte zurück, ließ aber Lindsays Schultern nicht los. »Wie stellst du dir das vor? Mit deiner Arbeit und Cordelia und allem?«
»Wir haben eine Krippe für die Kinder der Zeitungsangestellten, die hat täglich von neun bis sechs geöffnet. Ich kann die meisten Dienste auf den Tag verlegen und Cordelia wird auch helfen, wenn’s notwendig ist, da bin ich mir verdammt sicher.«
Deborah schüttelte ungläubig den Kopf. »Lindsay, du bist einfach unmöglich. Manchmal denke ich, du hörst einfach nicht auf die Worte, die aus deinem eigenen Mund kommen. Gestern abend hast du an nichts anderes denken können, als daran, wie du es schaffen könntest, die Beziehung zu Cordelia wieder in Ordnung zu bringen. Und heute redest du in aller Seelenruhe darüber, wie du ihr das Kind deiner verflossenen Geliebten anhängst. Was für ein Katastrophenrezept! Schau, das Angebot ist furchtbar nett von dir, und ich weiß, daß Cara es gut bei dir hätte, aber ich hoffe, es wird nicht notwendig sein. Wir werden uns mit dem Thema auseinandersetzen, wenn es soweit ist. Ich behalt’ die
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