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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Chefredakteure. Sobald sie befördert sind, löst das einen Vorgang in ihrem Gehirn aus, der alle Erinnerungen an ihr früheres Leben auslöscht.«
    »Was ist mit den Nachbarn?«
    Bill schüttelte müde den Kopf. »Zum Vergessen. Viel zu fein, um mit den Prolos von der Boulevardpresse zu kommunizieren. Also, angenommen, du gehst hin und sagst, du kommst vom Tatler – aber bei deinem Outfit hast du ja nicht einmal damit eine Chance.« Selbstmitleidig sah Lindsay an sich hinunter. Ihre Kleider trugen immer noch die Spuren jener Bauchlandung der vergangenen Nacht, auch wenn sie alles versucht hatte, um den Schmutz zu entfernen. »Warst du schon im Friedenscamp unten?« wollte er noch wissen. »Dort sind sie ungefähr genauso hilfsbereit wie hier.«
    »Das heißt, hier vergeude ich nur meine Zeit mit Herumhängen, stimmt’s?«
    »Wenn du was Besseres zu tun hast, tu’s. Lieber würde ich bei einem Waisenhausbrand zusehen«, bemerkte Bill resigniert und mit dem Zynismus, der hartgekochte Kriminalreporter auf der ganzen Welt auszeichnet. »Ich bin ohnehin vergattert. Wenn sich was ergibt, schick ich’s dir zum üblichen Preis.«
    Lindsay grinste in sich hinein, als sie Richtung BMW zurückschlenderte. Beim Wegfahren fiel ihr der große Blonde auf, der ihr wiederholt in der Nähe des Camps über den Weg gelaufen war und den sie mit dem Etikett ›Stapo‹ versehen hatte. Am Rande des Pressecorps lehnte er an einem roten Ford Fiesta und schaute aufmerksam herüber.
    »Auf zur Fordhamer Polizei«, sagte sie zu Cordelia. »Und halt beim ersten öffentlichen Klo an. Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen.«

SECHS
    Der öffentlichen Toilettenanlage im Fordhamer Randbezirk entstieg eine völlig veränderte Lindsay. Bevor sie vom Camp weggefahren waren, hatte sie ihre Notausrüstung mit den Arbeitsklamotten aus dem Kofferraum geholt und in den BMW geworfen. Deshalb steckte sie jetzt in einem eleganten braunen Jackenkleid, das außerdem und praktischerweise knitterfrei war, sowie den dazupassenden Stilettos, die im Friedenscamp ein mittleres Erdbeben ausgelöst hätten. Cordelia pfiff leise, als die Geliebte wieder im Wagen Platz nahm. »Sie werden dir deinen Lesbenausweis wegnehmen, bei dem Aufzug«, spottete sie.
    »Denk dir selber eine schlagfertige Antwort aus«, erwiderte Lindsay. »Duncans Wunsch ist mir Befehl. Aus. Punktum.«
    Auf dem Kommissariat erwarteten Lindsay zahllose bürokratische Hindernisse, bevor es ihr gelang, zu Kommissar Rigano durchzudringen. Eine Zeitlang tauschten sie Freundlichkeiten aus, dann lehnte Lindsay sich über seinen Schreibtisch und sagte: »Ich meine, wir beide sollten Geschäftspartner werden.«
    Kein Muskel bewegte sich in seinem Gesicht. Falls ihn etwas derart Langweiliges je interessieren konnte, gäbe er einen ausgezeichneten Pokerspieler ab, überlegte Lindsay. Als er mit dem Taxieren fertig war, sagte er schlicht: »Fahren Sie fort.«
    Lindsay machte eine Pause, in der sie sich eine Zigarette anzündete. Sie brauchte einen Moment, um zu entscheiden, was als nächstes kam in dieser Folge ungeplanter Erklärungen. »Sie hatten Deborah Patterson zwölf Stunden hier. Ich kann mir vorstellen, daß Sie Ihnen nicht einmal erzählt hat, welches Jahr wir schreiben. Und so werden sie alle sein. Diese Frauen haben ihre Lektion gelernt, dank der Methoden der Polizei und der Manipulationen der Gerichte. Jetzt verfügen sie über einen Stab gewitzter Anwältinnen, die nicht unter Ihrem Einfluß stehen. Mehrere Friedensaktivistinnen waren im Gefängnis und wissen, daß es Furchtbareres gibt. Sie kennen ihre Rechte und sie werden Sie sicher nicht warnen, falls Ihr Hintern einmal brennt.
    Wenn Sie also Informationen von ihnen brauchen, werden Sie sie kaum kriegen. Das heißt, nicht ohne mich. Denn ich glaube, ich kann Ihnen liefern, was sie wissen wollen. Die Lage, in der ich mich befinde, gefällt mir gar nicht. Aber die Frauen vertrauen mir, und das können wirklich nur sehr wenige Leute von sich behaupten, die mit dem Establishment einen Waffenstillstand abgeschlossen haben. Sie haben mich gebeten, ihnen bei der Lösung des Problems zu helfen.«
    Er sah mißtrauisch drein. »Ich dachte, Sie wären Reporterin«, wandte er ein. »Wie ist es Ihnen gelungen, Ihr Vertrauen zu bekommen?«
    »Die Frauen im Camp wissen alles über mich. Ich fahre jetzt seit Monaten hin.«
    Er hätte zu toben beginnen oder Drohungen ausstoßen können. Sie wußte das. Aber er fragte sie nur ruhig:

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