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Das Nest

Titel: Das Nest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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blickte auf und betrachtete beide aufmerksam. Sie sah aus, als ob sie niemandem vertrauen konnte, weil sie genau wußte, daß ihre Ehrlichkeit nur mißbraucht werden würde. Ihr Haar war perfekt geschnitten und gestylt, aber anscheinend hatten weder Ehemann noch Friseur sie dazu überreden können, das in dichten Strähnen ihre ursprünglich blonde Haarfarbe überlagernde Grau wegzufärben. Das Gesicht zeigte Spuren einer Schönheit, die von keiner kräftigen Knochenstruktur gestützt worden war, nachdem die Haut begonnen hatte, Straffheit zu verlieren und Falten zu bilden. Aber ihre Augen waren immer noch schön: Groß, haselnußbraun und voller Leben. Sie sahen nicht aus, als hätten sie zu viele Tränen vergossen. Der Kummer drückte sich ausschließlich in ihren Händen aus, die auf dem Tweedrock nicht zur Ruhe kamen.
    Sie versuchte erst gar kein Begrüßungslächeln, sondern sagte nur in trockenem Tonfall: »Guten Tag, Miss Gordon.«
    Rigano schien sich leicht unbehaglich zu fühlen und fügte schnell hinzu: »Ich mach’ mich jetzt wieder auf den Weg. Vielen Dank für Ihre Zusammenarbeit, Mrs. Crabtree, ich setze mich dann mit Ihnen in Verbindung.« Er nickte den beiden Frauen zu und verließ mit dem Rücken zur Tür den Raum.
    Emma Crabtree warf Lindsay einen kurzen Blick zu und wandte dann den Kopf zur Seite, um durch die Fenster nach draußen zu starren. »Ich bin mir gar nicht klar darüber, weshalb ich eigentlich eingewilligt habe, mit Ihnen zu sprechen«, eröffnete sie das Gespräch. »Aber ich nehme an, der Kommissar wird sich etwas dabei gedacht haben; und wenn das der einzige Weg ist, den Mob loszuwerden, der meine Nachbarn in den Wahnsinn treibt, dann muß es wohl so sein. Wenigstens haben Sie nicht den ganzen Tag vor meinem Gartentor herumgelungert. Also, was wollen Sie wissen?«
    Ihre Worte und die Art, wie sie sie gesagt hatte, entzogen Lindsay den Boden unter den Füßen. Alle Standardmethoden, die auf der Darstellung geheuchelter Sympathie beruhten, wurden durch die kühle Sachlichkeit der Witwe unbrauchbar.
    Die Journalistin spürte auch ein Maß an Feindschaft, die sie erst einmal zu entwaffnen hatte, bevor sie sinnvolle Informationen erwarten konnte. Also änderte sie die Taktik, die sie sich im Auto zurechtgelegt hatte, und stellte sich auf eine sehr viel nüchternere Herangehensweise ein. »Wie lange waren Sie verheiratet?« fragte sie.
    »Fast sechsundzwanzig Jahre. Letzten Mai haben wir silberne Hochzeit gefeiert.«
    »Es schienen also noch viele glückliche Jahre vor Ihnen zu liegen?«
    »Wenn Sie meinen.«
    »Und Sie haben zwei Kinder, stimmt das?«
    »Kinder ist wohl der falsche Ausdruck. Rosamund ist jetzt vierundzwanzig, Simon einundzwanzig.«
    »Es muß für Sie alle ein schrecklicher Schock gewesen sein?« Lindsay fühlte sich unbeholfen und verlegen. Die Haltung der Frau war so negativ, daß es schwer war, Worte zu finden, die nicht bleiern und peinlich klangen.
    »In vielerlei Hinsicht, ja. Ich erschrak sehr, als vergangene Nacht die Polizei in der Tür stand. Aber, daß Rupert beim Nachtspaziergang mit Rex erschlagen wurde, das war das Letzte, was ich erwartet hätte.«
    »Waren Sie allein zu Hause, als die Polizei mit der Nachricht kam?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Simon war da. Zuvor hat er in einer von einem Freund gemieteten Garage in Fordham gearbeitet. Dort bewahrt er seine Computerausrüstung auf. Er besitzt ein Softwaregeschäft, wissen Sie. Hin und zurück fährt er mit seinem Motorrad. Da ist er unabhängig.«
    Sie machte also schließlich doch noch auf. Lindsay seufzte leise vor Erleichterung. »Es ist Ihnen also erst bewußt geworden, daß irgend etwas nicht stimmte, als die Polizei vor der Tür stand?«
    »Na ja, genau genommen, eigentlich schon kurz vorher. Rex fing an, wie verrückt zu bellen. Sehen Sie, das arme Tier war offensichtlich von Ruperts Angreifer in die Flucht geschlagen worden, war durchgegangen und nach Hause gelaufen. Er muß beim Eingang gekauert haben. Dann, als er die Polizisten sah, begann er natürlich zu bellen. Er ist so ein guter Wachhund.«
    »Ja, das hab’ ich bemerkt«, erwiderte Lindsay. »Entschuldigen Sie, Mrs. Crabtree, aber Sie sagten vorhin etwas, was meiner Meinung nach eine Anzahl von Fragen aufwirft.«
    »Wirklich? Was denn?«
    »Mir war so, als hätten Sie angedeutet, Sie seien nicht gänzlich überrascht gewesen, daß Ihrem Gatten etwas zugestoßen ist. Als gäbe es jemanden, dem etwas Derartiges sehr gelegen

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