Das Nest
einige Worte mit Ihrer Tochter wechseln, Mrs. Crabtree. Wann wird sie zu Hause sein?«
»Sie wohnt nicht mehr hier. Wir erwarten sie erst zum Begräbnis«, warf Simon rasch ein. »Ich begleite Sie jetzt hinaus.« Er öffnete die Tür und hielt sie auf. Lindsay verstand den Wink und bedankte sich routinemäßig bei der Witwe.
Im Vorraum, nachdem die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, versuchte Lindsay es nochmals. »Der Tod Ihres Vaters hat Sie offenbar tief getroffen. Sie hingen wahrscheinlich sehr an ihm.«
Sein Gesicht blieb unverändert. »Solche Fragen haben Sie meiner Mutter gestellt? Na ja, wahrscheinlich ist es das, was die Massen zum Frühstück lesen wollen. Sie können Ihren Lesern mitteilen, daß jeder, der meinen Vater gekannt hat, weiß, wie tief getroffen wir alle sind und welche Kluft er in unseren Leben hinterlassen hat. In Ordnung?« Er öffnete die Eingangstür und schob sie fast hinaus. »Ich bin sicher, Sie haben bereits genug Material, um eine famose Geschichte zu basteln«, spottete er zum Abschluß, während er die Tür hinter ihr ins Schloß fallen ließ.
Sie machte ihren Beutel auf, stellte den Recorder ab und tänzelte die Auffahrt hinunter, um ihren Konkurrenten ein paar mindere Happen zu offerieren.
SIEBEN
Bill Brymans Angebot, Lindsay die eineinhalb Kilometer zurück zum Friedenscamp zu fahren, war vor allem auf seine Hoffnung zurückzuführen, mehr aus ihr herausquetschen zu können als die wenigen Brocken, die sie den Wartenden zum Fraß vorgeworfen hatte. Aber daraus wurde leider nichts. Weder Dankbarkeit noch Freundschaft konnten Lindsay dazu bewegen, sich von den druckreifen Perlen in ihrem Besitz zu trennen. Andererseits entging ihr beim Verlassen des Crabtree Hauses nicht, daß der Stapotyp im roten Fiesta wieder auf die Bildfläche zurückgekehrt war, was unendlich zu ihrem Verlangen beitrug, ihren momentanen Aufenthaltsort zu verändern. Sie beschloß also, Franks Wagen als Fluchtauto zu benutzen, um der Kollegenschaft und beobachtenden Blicken im allgemeinen zu entkommen. Kaum hatte er in der Nähe des Campingbusses angehalten, war sie auch schon auf und davon. Im ganzen Camp herrschte eine Ruhe, die auf ein gerade stattfindendes Meeting hinwies. Bravo Cordelia, dachte sie.
Sie stöckelte durch den Schlamm zu Cordelias Auto und holte sich ihre normalen Klamotten. Im Bus zog sie Jeans und Pulli an und lief den Weg zur Telefonzelle an der Hauptstraße hinunter, in die entgegengesetzte Richtung von Brownlow Common Cottages. Von den beiden öffentlichen Fernsprechern hatte sie bewußt den entfernter gelegenen gewählt, um nicht von einer der vielen Journalistinnen abgehört zu werden, die in der Gegend herumhingen und auf Gespräche mit ihren Redaktionen warteten. Zu ihrer Erleichterung war die Kabine leer. Zuerst rief sie beim Fordhamer Kommissariat an, um keine neue Entwicklung zu verpassen und wählte dann durch in das Schreibbüro des Clarion. Sie diktierte einen stark überarbeiteten Bericht ihres Interviews mit Emma und Simon Crabtree sowie eine auf den letzten Stand gebrachte Zusammenfassung des Falles.
Auch mit der Chefredaktion ließ sie sich verbinden, und Duncans Stimme dröhnte ihr ins Ohr. »Hallo Lindsay. Was hast du für mich?«
»Eine exklusive Plauderei mit der trauernden Witwe samt Sohn«, antwortete sie. »Ich war die einzige, die sie reinließen, aber ich mußte den anderen ein paar Zitate abgeben. Du wirst sie vermutlich von den Presseagenturen vorgesetzt kriegen. Nichts Wichtiges. Irgendwelche Fragen zu dem Artikel, den ich gerade durchgegeben habe?«
»Keine Fragen, Mädel. Der Text ist gerade über den Bildschirm gekommen und sieht eigentlich ganz ordentlich aus.
Aber was macht denn das Exklusivinterview mit dem Vögelchen, das diesem Typen die Nase gebrochen hat?«
Lindsay zog schweigend an ihrer Zigarette. Was wollte der Mistkerl eigentlich noch alles? »He, Duncan, weißt du auch, daß Frauen Vögel genannt werden, weil sie immer die Würmer aufpicken? Also, für die heutige Ausgabe wird das sicher nichts mehr. Die betreffende Frau ist zur Zeit leicht mitgenommen, verstehst du? Aber morgen könnte es klappen. Wenn ja, geb’ ich’s noch vor der Konferenz durch. Aber ich hab’ noch was anderes im Ärmel, falls uns die Anwälte das Interview nicht drucken lassen. Offensichtlich haben sich in Crabtrees Verein in letzter Zeit ein oder zwei Problemchen zusammengebraut. Mögliche Betrügereien im finanziellen Bereich. Ich geh’ dem noch
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