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Das Netz der Chozen

Titel: Das Netz der Chozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack L. Chalker
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Weise würden die Stammväter bei einem Kampf im Vorteil sein. Sie wußten, was Kampf war, hatten Erfahrung in Angriff und Verteidigung. Aber ihre christlichen und pazifistischen Ideale würden in dieser Auseinandersetzung natürlich untergehen. Sie würden entweder ihren Traum opfern, oder für ihn sterben. Auf jeden Fall würde der Prozeß der Dehumanisierung immer rascher fortschreiten.
    Ich sprach mit einer Gruppe von Jungen. Sie waren knapp zwei Jahre alt, wirkten aber schon so erwachsen wie die Alteren.
    George hatte zwei Töchter und einen Sohn vom letzten Brutzyklus. Eins der Mädchen wirkte intelligenter und wißbegieriger als die anderen, und ich entwickelte eine Sympathie für sie. Man nannte sie Guz — George erklärte mir später, daß er nach so vielen Kindern jetzt möglichst einfache Namen wählte, die er sich merken konnte.
    Wie ich schon sagte, waren wir alle wieder zu Kindern geworden; wir spielten Verstecken und Fangen, wenn wir nicht mit dem Essen beschäftigt waren, denn unsere massigen Körper benötigten große Mengen an Nahrung. Guz war glücklich und lebenslustig, und man hätte sie für eine frühreife Zwölfjährige gehalten, wenn man es nicht besser gewußt hätte. Aber obwohl sie eine Kontrollidentität als Vater und Lehrer hatte, blieb sie ein Mitglied der jungen Generation.
    »He, Barl« rief sie herausfordernd. »Niemand kann so schnell laufen wie ich!«
    Ich nahm die Herausforderung an und sprintete ihr nach. Ich wurde von Tag zu Tag sicherer und kam jetzt auf eine Geschwindigkeit von zwanzig Stundenkilometern, vielleicht sogar mehr. Es war ein verlockendes Paradies: keine Sorgen, keine Pflichten, ein Leben, das nur aus Spaß und Spielen bestand.
    Ich erwischte sie und gab ihr einen Schlag mit meinem Schwanz. Sie blieb stehen und lachte, weil sie absichtlich langsamer geworden war, damit ich sie einholen konnte, und sie wußte, daß ich es wußte.
    Nachdem wir uns so eine Weile vergnügt hatten, aßen wir unsere Portion Gras und Knollen und widmeten uns dann dem Ritual, das ein fester Bestandteil unseres Tagesablaufs war: man setzte sich mit einem Freund und Bekannten zusammen und begann, einander Haut und Behaarung zu reinigen und zu glätten.
    Das ging so vor sich, daß einer sich ausgestreckt auf den Boden legte und der andere seinen Körper auf Kletten, Insekten und so weiter untersuchte, die er dann mit der Zunge oder mit den Zähnen entfernte. Unser Speichel besaß eine antiseptische Wirkung, die Schrammen und Stiche rasch heilen ließ.
    Guz und ich blieben zusammen, und ich begann ihre Haut abzusuchen.
    »Bar?« fragte sie nach einer Weile. »Wie ist es da, wo du her-kommst? Wie ist es, wenn man alt ist?« Damit meinte sie nicht die Lebensjahre, sondern die Erfahrung, einmal ein Mensch gewesen zu sein.
    »Das hat dir dein Vater sicher schon erklärt«, sagte ich. »Es ist irgendwie anders.«
    »Wie anders?«
    »Nun, wir haben Hände. Wir können Dinge ergreifen und festhalten.« Während ich das sagte, fiel mir ein, daß >ergreifen< und >festhalten< schwer zu fassende Begriffe waren für jemanden, der keine Hände besaß. »Wir verwenden Werkzeuge — Dinge, die man dazu gebraucht, um andere Dinge herzustellen.«
    »Warum?«
    Die uralte Kinderfrage schien jetzt sehr viel schwerer zu beantworten. Warum wirklich?
    »Sind Menschen glücklicher als Chozen?« fragte sie, als ich zu lange darüber nachdachte.
    Ich dachte nach, über die abgestumpften Milliarden, die vor ihren Fernsehern hockten, in ihren genormten Wohnungen vor sich hinfaulten. Ich verglich sie mit den glücklichen Primitiven dieser Savanne.
    »Ich glaube nicht«, sagte ich nachdenklich. »Es ist keine Frage, ob ihr Leben besser oder schlechter ist — es ist anders . . . «
    »Wie anders?«
    Ich richtete mich auf. »Die Sonne geht unter«, versuchte ich sie abzulenken. »Wir wollen ins Dorf zurück.«
    Sie biß rasch noch ein paar Knollen ab, und dann hüpften wir zum Dorf. Wir konnten die untergehende Sonne nicht sehen, wir fühlten sie nur. Einige Gruppen, die weiter entfernt lebten, hatten bereits begonnen, dieses Gefühl als die Berührung Gottes zu betrachten. Eine sehr natürliche Entwicklung, fand ich, vielleicht sogar unvermeidlich. Das Licht der Sonne war eine Vorbedingung für Farbrefraktion. Während der Nacht bestand unsere Welt aus Sonarreflexen, eine fremdartige, unheimliche Landschaft aus weißen Formen vor einem schwarzen Hintergrund, unvertraut und irritierend. Es war besser, bei Einbruch der

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