Das Netz der Chozen
um weitaus mehr ging, als nur um die Verwandlung einer Gruppe von Menschen in eine andere, fremdartige Lebensform.
Nur! — Wie schnell man sich umstellt!
Als Georges Gefährtin, Joanna, mit den anderen drei Kindern der letzten Brut auf Besuch kam, um einige ihrer Kinder aus den vorangegangenen Brutperioden wiederzusehen, wurde ich sogar aus dem geräumigen Quartier des Führers verdrängt. Aber es wurde ohnehin Zeit, mich ein wenig umzusehen, sagte ich mir und entschloß mich zu einem ausgedehnten Ausflug auf die andere Seite der Bergkette, um mich darüber zu informieren, wie es dort aussah.
Ich ging einen der beiden Flüsse entlang, bis zu seiner Quelle, ein ziemlich schwieriges Unternehmen, wie ich dabei feststellte.
Je höher ich stieg, desto spärlicher wurde die eßbare Vegetation, und das Wachstumstempo schien langsamer als auf der Ebene, normaler. Hier war alles so, wie der Planet ausgesehen haben mochte, bevor das Virus, das wir jetzt in uns beherbergten, den Entschluß gefaßt hatte, alles zu ändern.
Was die Bevölkerung anging — ich meine natürlich Chozen —, so sah ich immer weniger, je höher ich hinaufstieg, und zuletzt war ich völlig allein. Die Luft wurde auch kühler — sie fiel alle dreihundert Meter um etwa ein Grad —, aber in einigen der geschützten Hochtäler, die zwischen den Bergen lagen, war es seltsamerweise kühler als auf den umgebenden Bergspitzen; in einigen, die für das Sonnenlicht unerreichbar waren, stellte ich einen Temperaturunterschied von fünfundzwanzig Grad fest.
Dem Virus paßte die Kälte gar nicht, stellte ich fest. Kalte Gebiete erschienen in meinem Sonarbild in Gelb, der Gefahrenfarbe, obwohl ich dort keine andere Gefahr — außer der Kälte — entdecken konnte.
Wenn ich trotz dieser Gefahrenwarnung die kalten Orte betrat, wurde das Virus ungemütlich. Ich spürte seinen Widerstand wie einen Fieberanfall. Als auch das nichts fruchtete, versuchte es, mich mit dem Hungermechanismus zu bändigen. Ich konnte mich ihm unter Aufbietung aller Willenskräfte widersetzen. Es gelang mir nur, weil ich den Grund für den starken Impuls kannte; der Intellekt war nicht stark genug, ihn zu beseitigen, half mir jedoch, ihn zu beherrschen — vor allem durch die Weckung meines Oppositionsgeistes: ich haßte von Natur aus jeden Zwang, und ich wußte, daß mir dieser Impuls aufgezwungen wurde.
Bei der Seiglein-Corporation stand ich unter Zwang. Ihr Wille war Gesetz, ihre Angestellten waren ihr Eigentum, genau wie die Gebäude und Fabriken und die Raumschiffe, mit deren Hilfe sie den Handel zwischen Hunderten von Planeten beherrschte. Aufklärer waren die einzigen halbfreien Geister, die im Universum des Seiglein-Imperiums übriggeblieben waren; und das war der eigentliche Grund dafür, daß es uns gab, die Hunderte von Männern und Frauen, die es unerträglich fanden, nur Befehle ausführen zu müssen.
Und das war auch der Grund, daß ich es schaffte, mich den Viren zu widersetzen. Immer wieder gelang es ihnen, einen neuen Trick zu finden, mit dem sie mich zwingen konnten, mich ihren Wünschen zu unterwerfen, aber jeder dieser Tricks klappte nur einmal. Sie kontrollierten die Zellen, die Sekretionen und Funktionen meines Organismus, es gelang ihnen jedoch nicht, auch den Geist zu beherrschen, ohne ihn zu zerstören.
Ich brauchte vier Tage, um über die Bergkette zu kommen, Tage der Einsamkeit, die für mich jedoch sehr entscheidend und befriedigend waren, da ich mir selbst beweisen konnte, daß ich niemandes Eigentum war, daß ich mich sogar in dieser verrückten Welt behaupten und ich selbst bleiben konnte.
Von einem kleinen Plateau auf der anderen Seite des Bergkamms aus unternahm ich mit schmaler Pulsfrequenz eine Untersuchung der Landschaft. Auf der anderen Seite der Berge war das Land hügelig, es gab mehr Bäume und mehr und größere Flüsse. Überall sah ich die Nahrungsfarbe, und nach der mageren Diät von Berggräsern verspürte ich starken Hunger.
Auch hier lebten Chozen. Ich erkannte die silbrig schimmernden Formen von mindestens acht Dörfern. Sie waren zu weit entfernt, um ein klares Echo zurückzuwerfen und erschienen nur als vage, verschwommene Flecken in meinem Sichtfeld.
Vorsichtig stieg ich die letzten Hänge hinab und näherte mich der großen Herde, die unmittelbar am Fuß der Bergkette graste.
Sie war nicht so stark, wie ich beim ersten Blick angenommen hatte, und während ich aß, dachte ich darüber nach. Zugegeben, ich hatte nur einen
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