Das Netz der Chozen
Glaubensregeln.«
Das also war es. So viel für kulturelle Anpassung. Der Inzest war nach wie vor ein starkes Tabu, und George hatte es gebrochen, und hatte Angst, es wieder zu brechen — hatte es wahrscheinlich bereits wieder gebrochen. Diese Frau hatte einen Teil des bedeutungslosen Widerwillens geerbt, den ihr Vater und die anderen Ersten empfunden hatten.
»Das beweist nur, daß wir an den meisten unserer Probleme selbst schuld sind«, sagte ich tröstend, »und auch an denen von anderen. Aber ich glaube, daß Inzucht nur bei Menschen Probleme hervorrufen kann, nicht jedoch hier, bei den Chozen.«
Wo war die berühmte Anpassungsfähigkeit jetzt? fragte ich mich. In manchen Menschen waren einige Verhaltensgesetze so tief eingeprägt, daß sie nicht abzuschütteln waren. Durch sie ist schon viel Unglück angerichtet worden.
»Sie sollten ihn trotzdem besuchen«, drängte ich sie. »Warum kommen Sie nicht mit mir, wenn ich wieder zurückgehe? Ich habe den Eindruck, daß die Kinder schon recht gut für sich selbst sorgen können.«
»Vielleicht«, sagte sie. »Wir werden sehen.«
Ich blieb etwa eine Woche, vielleicht etwas länger. Mara war sehr unterhaltsam, immer neugierig, an allem interessiert, und sie wollte immer wieder Berichte über meine Entdeckungsreisen hören. Mehrmals am Tag saß sie mit verschiedenen Gruppen von Jungen zusammen und versuchte, ihnen beizubringen, was sie wußte, aber ich erkannte, daß es ein hoffnungsloses Unterfangen war. Nur wenige blieben bei ihr, bis die Lektion zu Ende war, und selbst diese wenigen waren nur mäßig interessiert.
Ich konnte an diesen Sitzungen nicht teilnehmen. Die Sprache hatte sich zu sehr verändert. Mit jeder Lektion schien sie niedergeschlagener zu werden, und aufnahmewilliger für Vorschläge, einen anderen Weg einzuschlagen, die ausgefahrene Spur zu verlassen.
Das gefiel mir an ihr. Sie hatte eine rasche Auffassungsgabe und zeigte einen unstillbaren Wissensdurst, verbunden mit einer gewissen Naivität, die es ihr möglich machte, meine oft etwas übertriebenen Geschichten unkritisch anzuhören.
Vor allem aber war sie von diesem langweiligen Leben fru-striert, und das fand ich sehr erstaunlich, weil sie im Gegensatz zu mir nichts anderes kannte und nicht klar wußte, was sie sich eigentlich ersehnte.
Im Lauf der nächsten Tage stellte ich auch fest, daß die Jungen der letzten Brutperiode zwar alle erwachsen wirkten, aber tatsächlich verschieden alt waren. Der Bruttrieb überfiel die Chozen zu unterschiedlichen Zeiten, wenn auch in regelmäßigen Intervallen.
Die nächste Brutperiode — nach einem Interregnum, das nur einmal im Lauf von zwei Jahren auftrat — stand unmittelbar bevor. Einige der weiblichen Chozen wurden schlanker, ihre grüne Hautfarbe hellte sich auf, und auch ich spürte eine seltsame Erregung. Anscheinend war ich gegen Ende eines Zyklus' gelandet und sollte in dem jetzt bevorstehenden meine ersten Erfahrungen sammeln.
Auch in Mara waren deutlich Veränderungen spürbar. Sie bestanden vor allem in einer undefinierbaren emotionellen Erregung. Seltsamerweise schienen die Frauen sie nur indirekt zu spüren, durch Erkennen der Reaktion bei den Männern. Ich spürte nur bei wenigen der weiblichen Chozen diesen Erregungszustand. Das schien auch anderen Männern so zu gehen, und da jeder Mann fünf oder mehr Frauen befriedigen mußte, sah ich darin eine Erklärung dafür, daß die Bevölkerungszunahme nicht so gewaltig war, wie ich rein rechnerisch vermutet hatte. Aber das änderte nichts an der Tatsache, daß diese Welt auf eine Katastrophe zutrieb, es schob sie nur ein wenig hinaus.
»Wir wollen George besuchen«, drängte ich sie eines Tages.
»Kommen Sie!«
»Aber — die Brut!« protestierte sie. »Es dauert eine Woche oder länger, bis wir am Paß sind.«
»Wir werden über den Grat gehen, auf demselben Weg, auf dem ich hergekommen bin.«
Sie blickte unruhig zur Bergkette hinauf. »Ich weiß nicht...«
»Kommen Sie!« drängte ich. »Sie sterben hier vor Langeweile und Frustration. Das wissen Sie genau so gut wie ich. Dies ist ein neues Erleben, ein Abenteuer, etwas ganz anderes. Kommen Sie mit mir! Ich weiß, daß George sich über Ihren Besuch freuen wird.«
Schließlich gab sie nach. »Einverstanden«, sagte sie. »Wann brechen wir auf?«
»Was halten Sie von morgen früh?«
In dieser Nacht träumte ich zum erstenmal. Seltsam, ich hatte auch früher fast nie geträumt, und auch hier nicht — bis
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