Das Netz der Chozen
Taten«, sagte ich zu Marsha. »George ist von unserer Welt geflohen, um ein Utopia zu finden, und endete dann konsequenterweise als harmloses grasfressendes Weidetier. Ich bin in unbekannte Räume vorgestoßen, das ist wahr, aber ich tat es im Auftrag Seigleins, nach den Anweisungen der Direktion, suchte nur nach Dingen, die sie haben wollten; ich habe mir zwar stets eingeredet, frei und ungebunden zu sein, während ich in Wirklichkeit nur Trophäen für Seiglein sammelte und versuchte, der Corporation zu gefallen. Sie sind genau so Teil dieses Systems wie wir. Glauben Sie mir. Wir sind alle, einer wie der andere, weiter nichts als . . . « Ich suchte nach dem passenden Wort.
»Revolutionäre«, hörte ich George sagen; er kam gerade die Treppe herab. »Das sind wir. Revolutionäre. Selbst wenn wir unsere Gestalt verändern, so macht uns das doch nicht wirklich anders — innen, wo es zählt, und kulturell. Nein, es ist die Revolution, die wir anstreben. Deshalb bin ich auch so engagiert. Die Menschheit ist seit langem reif für eine Revolution. Der Garten muß gründlich gejätet werden, soll er nicht am Unkraut ersticken.«
»Aber George!« rief ich verblüfft. »Wir sind keine Menschen mehr!«
Er kicherte. »Physisch manifestieren wir die Revolution, die Seiglein und die anderen fürchten, aber die sind Produkte ihres eigenen Systems. Die Menschen haben andere immer nach Äußerlichkeiten beurteilt. Menschen sind verfolgt worden wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihrer Körpergröße, wegen geringfügigster Abweichungen von der Norm, ja sogar wegen ihres Haarschnitts. Nun, das haben wir beseitigt. Wir haben uns zu einer Rasse mit idealem Aussehen entwickelt und oft im Scherz behauptet, daß wir das Beste seien, was es gibt. Nein, die wirklichen Revolutionen kommen immer von innen heraus, aus dem Denken. Das ist die Revolution, die wir repräsentieren. Was wäre schon dabei, wenn wir alle Menschen der Galaxis in Chozen verwandeln würden? Welche sozialen Veränderungen würde das bewirken? Würden die Menschen dann einen Sinn in ihrem Leben sehen? Quatsch! Patmos war ein Analogon der menschlichen Gesellschaft. Es war. Jetzt nicht mehr. Nie wieder.« Ein inneres Feuer schien ihn zu verbrennen. »Wir werden sie stürzen!«
Marsha wandte mir ihr Gesicht zu. »Sehen Sie jetzt, was ich Ihnen sagen wollte?«
Ich nickte, konnte aber noch immer nicht ganz folgen. George hatte ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen, aber ich konnte es nicht erkennen.
Doch ich wußte, daß er auf dem richtigen Weg war. George war immer auf dem richtigen Weg.
Die Zyklen kamen und gingen, und die Arbeit auf der Nijinski nä herte sich ihrem Ende. Ihre Konstrukteure würden das Schiff nicht wiedererkannt haben. Genausowenig wie Marsha es konnte.
Sie hatte einige Schwierigkeiten, sich an ihr Leben als Chozen zu gewöhnen. Sie war nicht in dieser Gestalt geboren worden, wie Ham und Eva, und sie konnte sich nicht in der freien Natur an sie anpassen, wie George und ich es gekonnt hatten.
Die Gewöhnung an die Sehtechnik der Chozen dauerte mehrere Tage, und noch erheblich länger brauchte sie dazu, sie unbewußt und selbstverständlich anzuwenden. Auch das Bewegen erforderte nicht nur eine physische Leistung, sondern ein enormes Selbstvertrauen. Es war wie mein erster Alleinflug, als sie mich in ein Schiff gesteckt, mit dem Computer verbunden und mir gesagt hatte: >Jetzt fliege!<
Zwei von drei Rekruten schafften es auch nach jahrelangem Training nicht. Und von denen, die es schafften, entwickelte nur einer von zehn so viel Selbstvertrauen, um eigene Wege zu gehen, um sein Schiff in unbekannte Räume zu führen, außerhalb der Reichweite jeder menschlichen Hilfe. Und selbst von diesen besaß nur einer unter Tausenden das Selbstvertrauen, um Aufklärer zu werden wie ich.
Ich hatte es immer für Stolz gehalten, aber im Grunde genommen war es nichts weiter als Selbstvertrauen. Das Selbstvertrauen, den Weg zu neuen Konstellationen zu finden — und den Weg zurück. Das Selbstvertrauen — vielleicht auch nur die Dickköpfigkeit —, das sich weigerte, Niederlagen einzugestehen.
Marsha stolperte oft und fiel hin, verletzte sich häufig, bis sie sich ohne fremde Hilfe und einigermaßen sicher bewegen konnte. Sie hatte keine Freude daran, ein Chozen zu sein, aber sie akzeptierte es. Ich war stolz auf sie.
»Wir haben Glück gehabt«, sagte ich eines Tages zu George, »daß wir durch reinen Zufall eine wie sie erwischt haben.«
»Nein«, widersprach er.
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