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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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unter dem Schild »Wunderlich« erwachte.
    »Was war das?«, fauchte sie in Stellas Richtung.
    Die stand auf Zehenspitzen und wusste zuerst nicht, was sie sagen sollte. Schließlich meinte sie: »Ihr habt geschlafen. Das muss wohl Euer Kopf gewesen sein, der da gegen die Wand der Pförtnerloge schlug.« Stella hob die Schultern und grinste. »Holz gegen Holz – das macht eben einen ziemlichen Radau.«
    Noch im Wegdrehen sah Stella die unheimliche Veränderung im Gesicht der Dame Wunderlich: Die amtliche Kinnlade klappte herunter, die Augen nahmen einen starren – zunächst entsetzten, dann erzürnten – Ausdruck an, die Gesichtsfarbe tendierte zu einem satten Rot…
    Stella rannte, so schnell sie konnte. Hinter ihr ergoss sich ein Schwall von Schimpfworten aus dem Katasteramt. Sie hoffte nur, die Pförtnerin würde keine Wachen alarmieren. Die Gassen Amicos flogen nur so an ihr vorbei. Einige Minenarbeiter blickten dem jungen Mädchen verdutzt hinterher, zu dessen wenig damenhafter Kleidung der schneeweiße Marderkragen so gar nicht harmonieren wollte.
    Stellas Augen suchten die ganze Zeit nach einem rechteckigen Stück Papier. Aber weder auf der Straße noch in Büschen und Kakteen oder sonst wo auf dem Weg konnte sie das wertvolle Fragment ausmachen.
    Sesa Mina versicherte ihr, dass der Lindwurm das Blatt noch habe. Wie ihre Nase das feststellen konnte, war für Stella ein Rätsel. Aber als sie diesbezüglich einmal leichte Zweifel anmeldete, handelte sie sich von ihrer schneeweißen Fährtensucherin nur eine rüde Antwort ein.
    Sie erreichten unbehelligt die einsame Hafenmole mit den verfallenen Lagerhäusern. Während Stella den letzten Schuppen umrundete, schlug ihr schon der unangenehme Geruch vom Abwasserkanal entgegen. Ihre Patrone lag unangetastet an ihrem Platz. Stella bestieg das gläserne Gefährt und sperrte den Gestank durch das Schließen der Klappe aus.
    Sesa Mina lotste sie wieder zu dem geheimen Durchlass in der Stadtmauer. Obgleich selbst die Reste des penetranten Geruchs in der Kabine Stella noch fast die Sinne raubten, wollte das Frettchen doch die Witterung des Lindwurms behalten haben. Es behauptete sogar, das Schuppentier habe mit dem Schnipsel am Rücken genau denselben Weg aus der Stadt genommen wie sie. Ja, mehr noch, es nannte Stella sogar den Namen eines Ortes, den diese für das Navigationsröhrchen auf einem Zettel festhalten sollte. Stella tat, wie von Sesa Mina geheißen, und sobald das Papier mit dem Zielort in blauer Flüssigkeit aufgegangen war, setzte sich die Patrone in Bewegung. Unbemerkt verließen sie die trostlose Stadt Amico.
     
     
    Die Patrone schoss wieder über das Wasserstraßennetz Illusions. Mehrmals machte Stellas Fahrzeug in kleinen Wüstenstationen Halt und jedes Mal sprang Sesa Mina an Land, um schon nach kurzer Zeit wieder zurückzukehren.
    »Was machst du eigentlich immer da draußen?«, fragte Stella, nachdem sie bereits drei- oder viermal das seltsame Ritual des Frettchens mitverfolgt hatte.
    »Ich vergewissere mich nur, ob wir noch auf der richtigen Fährte sind.«
    »Und?«
    »Verlass dich auf mich. Meine Spürnase kannst du mit Gold aufwiegen.«
    »Das glaub ich langsam auch. Ich hoffe nur, der Fetzen auf dem Rücken des Drachen fällt nicht in irgendeinen der Kanäle. Wir könnten dort unmöglich anhalten und ihn herausfischen. Der Text wäre für uns unwiederbringlich verloren.«
    »Keine Sorge, bis jetzt hat er ihn noch.«
    Die Patrone passierte noch acht oder zehn weitere Relaisstationen. Sesa Mina wurde immer zuversichtlicher, Stella dagegen immer ratloser. Woher nur hatte dieses Frettchen all seine Fähigkeiten? Es sprach wie ein Mensch und fand so gut wie alles, wonach man suchen mochte.
    Bald flog vom Horizont die Schattenlinie einer riesigen Stadt heran, hinter der gerade die Sonne unterging. Die Metropole war größer als alles, was Stella je gesehen hatte, aber ihre Mauern schienen vergleichsweise niedrig und glühten kaum stärker als diejenigen Amicos.
    »Amon«, flüsterte Stella ehrfurchtsvoll. »Sieh nur die vielen hohen Türme, Mina! Genau wie auf den Bildern, die man überall von der Stadt zu sehen bekommt.«
    »Ja, ein herrliches Versteck für einen Babywurm«, entgegnete das Frettchen unbeeindruckt.
    Amon war für seine Weltoffenheit bekannt. Hier tummelten sich Reisende aus ganz Illusion. Manche kamen als Touristen in diese Stadt, andere zu Studienzwecken, wieder andere, um ihren Geschäften nachzugehen. Es hieß, kaum ein Gebäude

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