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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zeigte einen hölzernen Nussknacker, einen Gardesoldaten in roter Jacke, weißen Hosen und schwarzen Stiefeln. Auf dem Kopf trug er eine hohe schwarze Mütze. Stella betrachtete die sacht im Wind schaukelnde Tafel mit Beklemmung. Sie konnte sich auf dieses Gefühl aber keinen Reim machen und war außerdem viel zu müde, um noch lange nach einem anderen Schlafplatz zu suchen. Also trat sie ein.
    Das Innere der Schankstube hielt, was die schäbige Fassade versprochen hatte. Es roch nach abgestandenem Bier. Auf dem Boden lagen Binsen, die dringend der Erneuerung bedurften. Obwohl die Dämmerung schon weit fortgeschritten war, hatte der Wirt keine Kerzen angezündet, abgesehen von einem Öllicht beim Tresen.
    »Ein Bett für eine Nacht?«, wiederholte der feiste Mann mit dem schütteren Haar Stellas Wunsch. Der Wirt musterte seinen weiblichen Gast vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Stellas Reisekleidung war ein wenig staubig von dem Abenteuer im amiconischen Katasteramt, doch sie machte alles andere als einen heruntergekommenen Eindruck. Der Hermelinkragen – nichts anderes konnte dieses schneeweiße Prachtstück sein – verlieh ihr sogar einen Hauch von Noblesse.
    »Was hat eine hübsche Maid wie Ihr allein in dieser Stadt zu suchen?«
    »Bekommt man bei Euch nur eine Kammer, wenn man zuvor seinen Lebenslauf einreicht?«
    Stella hatte wegen ihrer niedergedrückten Stimmung heftiger als üblich geantwortet. Normalerweise war sie ein sehr umgängliches Mädchen. Aber offenbar hatte sie damit genau den richtigen Ton getroffen bei dem wohlgenährten kleinen Wirt mit dem lichten Haarkranz auf dem Kopf.
    »In der Gegend streunt hin und wieder lichtscheues Gesindel herum«, sagte er begütigend. »Nie würde ich Euch dazu zählen, holdes Fräulein, es war nur die Sorge, die mich zu meiner Frage trieb. Ich habe eine Kammer für Euch, aber gut Ding will Weile haben. Meine Magd muss sie erst für Euch herrichten. Einige unserer Zimmer stehen oft über längere Zeit leer, und damit das Bettzeug nicht schimmelt, ziehen wir es immer erst kurz vor Gebrauch auf.«
    »Das ist schon in Ordnung«, antwortete Stella, im Stillen aufatmend, nicht die angestockte Wäsche irgendeines Vorgängers benutzen zu müssen. »Könnte ich in der Zwischenzeit von Euch etwas zu essen bekommen?«
    »Das dürfte sich ganz sicher einrichten lassen. Der Nussknacker ist für seine Küche weit über die Grenzen Amons hinaus bekannt. Was haltet Ihr von einem gebackenen Schinken im Brotteig?«
    »Klingt viel versprechend. Den nehme ich.«
    »Und einen Krug Bier?«
    »Etwas verdünnter Wein würde mir genügen.«
    »Sollt Ihr bekommen. Sucht Euch einen Platz.«
    Stella wollte sich schon vom Wirt abwenden, als dieser noch hinzufügte: »Wir haben hier nicht unbedingt das erlesenste Publikum. Sollte Euch ein Gast mit ungebührlichen Anträgen kommen, dann gebt mir Bescheid. Ich werde ihm dann den Ausgang weisen.«
    »Seht Ihr nur nach Eurem Schinken«, sagte Stella müde lächelnd. »Ich weiß mich schon zu wehren.«
    Sie suchte sich einen Tisch und eine Bank im hinteren Bereich des Schankraumes. Dieser besaß die Form eines Winkels, man konnte also nur vom Tresen aus sämtliche Gäste im Auge behalten. Zurzeit war nur ein Tisch besetzt. Die drei Männer – ihrer Kleidung nach Zimmerleute – hatten an ihren Bierkrügen erheblich mehr Interesse als an Stella.
    Schon nach kurzer Wartezeit brachte der Wirt einen kleinen Tonkrug und einen Becher. Er schenkte Stella etwas von dem verdünnten Wein in das Trinkgefäß und bat noch um etwas Geduld für das Essen. In Kürze werde er es servieren.
    Sie nickte und zwang sich zu einem Lächeln. Hoffentlich war sie noch wach, wenn der Wirt sein Versprechen einlöste. Stella ließ ihr Frettchen, das bis dahin wie ein lebloser Pelzkragen um ihren Hals gelegen hatte, auf die Bank herab.
    »Magst du Schinken, Mina?«
    »Am liebsten, wenn ich ihn noch eine Weile jagen kann.«
    Das Knarren der Eingangstür erregte Stellas Aufmerksamkeit. Dort, im matten Licht des schwindenden Tages, stand ein hagerer Mann, sich suchend umblickend. Der Fremde war nicht sehr groß. Er hatte einen braunen Vollbart, eine schmale Nase, die in einer breiten gespaltenen Spitze endete, und eine Wollmütze, die schon Generationen von Motten Nahrung und Obdach geboten haben musste. Seine lederne Tracht ließ vermuten, dass er die meiste Zeit seines Lebens in den Wäldern Amons oder denen einer anderen großen Stadt zugebracht hatte. Über der Schulter trug

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