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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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seine Tochter keinen Moment mehr aus den Augen gelassen. Selbst wenn Agaf, Kimiko oder ein anderer im Raum ihn ansprachen, antwortete er dem Betreffenden, ohne ihn dabei anzusehen. Als dann Stellas Glieder sich wieder anspannten und sie hin und wieder am Joystick zog, einmal sogar eilig nach der Tastatur griff und mit fliegenden Fingern eine kurze Eingabe darauf machte, wurde er immer nervöser.
    Als Stellas Finger nun erneut nach dem Joystick schnappten, fuhr er so erschrocken zusammen, dass Kimiko seine Hand nahm und sie drückte. Viviane spendete nicht selten auf diese Weise Trost – mit einem kurzen, aber ehrlichen Händedruck – und für einen Augenblick meinte er wirklich, sie an seiner Seite zu haben. Davon berührt drehte er nun doch den Kopf zur Seite.
    »Es wird alles gut gehen«, sagte die Japanerin und lächelte ihm aufmunternd zu. Mark fühlte sich irgendwie ertappt. Seine Verlegenheit drückte er in einem schiefen Grinsen aus. Kimiko wollte nicht, dass er ihre Geste falsch verstand, zog deshalb ihre Hand wieder zurück und sagte mit verständnisvoller Stimme: »Sie brauchen Ihre Sorge um Stella nicht zu verbergen, Mark. Nichts anderes würde ich von einem guten Vater erwarten.«
    »Ich bin mir nicht so sicher, ob ich dieses Prädikat verdiene. Aber ich arbeite daran, Stella ein guter Vater zu werden… « Hilflos hob er die Schultern.
    Kimikos dunkle Augen funkelten. »Das ist mir nicht entgangen, Mark. Und ich bin sicher, Stella weiß es auch.«
    Etwas entspannter widmete sich Mark nun wieder dem Geschehen im Intruder-Labor. Ohne Stella auf ihrem hohen, in Liegeposition zurückgeklappten Sessel wirklich aus den Augen zu lassen, kontrollierte er regelmäßig die Anzeigen, die auf diversen Monitoren beiderseits der Cybernautin zu sehen waren. Sie standen dicht bei der getönten Scheibe, da sie vor allem den Zuschauern im Raum dahinter Informationen geben sollten. DiCampo hatte die Funktion dieser Kontrollinstrumente gleich zu Beginn von Stellas Reise erläutert.
    Auf einem riesigen Fünfzigzollfarbmonitor wurden die Anzeigen übertragen, die der Cybernaut auch in seinem Helm sehen konnte. Ein rotes Oval bezeichnete dessen Gesichtsfeld, das er durch Drehen oder Neigen des Kopfes oder auch durch Geisteskraft beliebig verändern konnte. Ein weiteres relativ kleines Display oberhalb des Großmonitors zeigte den Namen und die IP-Adresse des Servers, auf dem sich der Cybernaut gerade befand. Rechts vom großen Hauptschirm befand sich ein kleinerer, der das so genannte »Reiselogbuch« darstellte.
    Bei diesem Protokoll handelte es sich, wie DiCampo erklärt hatte, um ein detailliertes »Tagebuch«, in dem alles gespeichert wurde, was der Cybernaut während seines Aufenthalts im Cyberspace wahrnahm. Zu diesen Angaben gehörten hauptsächlich Textinformationen, Grafiken, gelegentlich sogar bewegte Bilder und Audiodaten. Leider, so hatte der Italiener bedauernd angemerkt, könne man nicht aufzeichnen, was der Reisende wirklich sehe oder erlebe, weil sich das ja nur in seiner Phantasie abspiele. DiCampo veranschaulichte diesen Schwachpunkt des Reiselogbuchs anhand eines Beispiels: Selbst wenn die Augen des Cybernauten auf einem fremden Rechner die Nachricht sahen »Möchten Sie die Datei README.TXT lesen?«, konnte das Gehirn des Wachträumers daraus womöglich den futuristischen Hinweis konstruieren: »Ich habe hier ein dreidimensionales Einführungshologramm für unsere Bibliothek. Legen Sie’s in den Demodulator ein, wenn es Sie interessiert.«
    DiCampo hatte das Beobachterzimmer nach Stellas Reisebeginn einmal kurz verlassen. Ansonsten verfolgte er den ersten Ausflug einer Cybernautin genauso gebannt wie alle anderen. Dank seiner Vorkenntnisse sah er sich jedoch veranlasst, alle Vorgänge ausgiebig zu kommentieren. Dabei setzte er sein südländisches Temperament verschwenderisch und unter vollem Körpereinsatz ein. Die letzten Anmerkungen hatte er sogar im Rahmen eines Rollenspiels vorgetragen, wobei er selbst sämtliche Charaktere verkörperte, allein durch die Verstellung seiner Stimme. Einige der Cyberworm-Mitglieder fanden das durchaus komisch, doch Mark war nur halb bei der Sache. Er fragte sich, in was für einer Welt seine Tochter wohl gerade sein mochte.
    Der Bildschirm mit dem Reiseprotokoll verriet ihm wenig darüber. Niemand konnte ja ahnen, wie Stellas Gehirn das Wechselspiel aus kargen Texten und verwirrend bunten Bildern des Internets umsetzte. Mark erinnerte sich, wie er selbst oft

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