Das Netz der Schattenspiele
Absicht eingesetzt haben. Bevor er nicht den Grund für ihr Handeln kannte, dachte er überhaupt nicht daran, dem Italiener irgendetwas zu verraten.
DiCampo stützte sich mit beiden Händen auf den Besprechungstisch. Er hatte kurz die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete, sagte er bewusst ruhig: »Professor, bis zu einem gewissen Grad habe ich sogar Verständnis für Ihre Aversion gegen meine Person. Aber bedenken Sie bitte, was eben Mr. Nbugu schon zu Ihnen gesagt hat – Sie scheinen seinen Worten ja ein größeres Gewicht beizumessen als den meinen. Dies ist der denkbar schlechteste Augenblick für einen Eklat in unserem Team. Der Cyberwurm muss unschädlich gemacht werden. Deshalb darf Ihre Tochter – ein unerfahrenes Mädchen! – in diesem Fall nicht einfach auf eigene Faust ermitteln und das übrige Team aus hochkarätigen Spezialisten durch die Verwendung einer albernen Geheimsprache aussperren. Wenn Sie uns also helfen können, diesen Dialog zu enträtseln, dann, bitte, tun Sie es.«
Am liebsten hätte Mark erwidert, diese geheime Sprache könne doch, wenn sie wirklich so »albern« sei, für die Spitzenanalytiker der NSA kein Problem darstellen. Aber er sah Agafs flehentliche Blicke und verkniff sich die Bemerkung.
Um DiCampo zufrieden zu stellen, studierte er nachdenklich noch einmal das Logbuch von Stellas Reise. Was vorhin so schnell über den Kontrollbildschirm geflogen war, konnte er nun in aller Ruhe durchgehen. Stella hatte tatsächlich im Server der kalifornischen Softwarefirma Blaxxun einen Avatar getroffen, dessen Besitzer er kannte. Er ließ sich jedoch nicht anmerken, was oder wie viel er über den Nick Name Elektra wusste. Stella hatte unbewusst schon das Richtige getan. Während sich die NSA-Analytiker mit Hightech und wenig Phantasie um die Dekodierung des verschlüsselten Textes aus dem Server der Australian Mining Company bemühten, würden Elektra und ihre Freunde das Problem vor allem mit Kreativität und Intelligenz angehen. Und dass sie über beides verfügte, das hatte die Person hinter der Figur des grünhaarigen Mädchens schon mehr als einmal bewiesen.
Agaf schüttelte nur den Kopf. Selbst die Klartextpassagen des Blaxxun-Chats verlangten ihm einige gedankliche Verrenkungen ab. DiCampo machte deutlich, dass der seltsame Cyberjargon nicht das eigentliche Problem darstelle. Die Rechtschreibung beim Chatten folge keinen allgemeingültigen Regeln. Im Grunde sei das, was die Chatter da von sich gäben, nur geschriebener Slang. Kopfschmerzen bereite ihm einzig und allein die Unterhaltung Stellas mit dieser Elektra.
»Ich muss Sie einfach bitten, sich noch bis zu Stellas Erwachen zu gedulden«, sagte Mark freiheraus, nachdem er den Text seines Erachtens nach lange genug angestarrt hatte.
»Sie sind Stellas Vater«, sagte DiCampo. »Wenn sie da irgendeine infantile Sprache benutzt, dann müssten Sie sie doch kennen.«
»Kinder sind geheimnisvolle Wesen, Doktor. Haben Sie schon einmal dem Gebrabbel zugehört, mit dem ein Säugling sein Sprachvermögen trainiert? Für den Kleinen hat das einen Sinn, für die Eltern ist es einfach nur niedlich.«
»Sie lenken ab, Professor.«
»Richtig. Ich will Ihnen zeigen, dass Sie in einer Sackgasse stecken. Später, nachdem ich mit Stella gesprochen habe, bekommen Sie von mir ihren Reisebericht. Bis dahin können Sie ja schon mal versuchen herauszufinden, wer diese Elektra ist. Es dürfte der NSA doch nicht schwer fallen, die Teilnehmer eines simplen Chats zu ermitteln.« In Wirklichkeit kannte Mark das Geschick der grünhaarigen Weltraumschönheit im Versteckspielen nur allzu gut.
DiCampo machte eine säuerliche Miene. »Normalerweise gibt es dabei keine Probleme. Aber diese Elektra scheint ein sehr vorsichtiges Mädchen zu sein – wenn es denn wirklich eines ist. Sie hat ihre IP-Adressen gefälscht und benutzt außerdem einen anonymisierten Proxy. Es würde mich nicht wundern, wenn sie auch noch mit einem ›ausgeliehenen‹ Internetzugang arbeitet.«
»Mich allerdings auch nicht«, sagte Mark mit stiller Genugtuung. Als er Agafs ratloses Gesicht bemerkte, fügte er an den Afrikaner gewandt hinzu: »Unsere Elektra benutzt einen Server, der zwischen ihrem eigentlichen Zugangs- und dem Blaxxun-Rechner steht. Dieser Proxy setzt ihre Internetadressen so um, dass man sie nicht einfach wie bei einer Telefonschaltung zurückverfolgen kann. Es wäre zwar möglich, durch einen Gerichtsbeschluss die Herausgabe der Logbücher des
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