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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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FELDES
     
     
     
    »Illusion?« Salomon legte seinen Arm um Stellas Schulter und blickte über die Landschaft am Rande des NSA-Areals. »Das ist wirklich ein passender Name, Sternchen.«
    »Es heißt nicht Illusion, sondern Illusion. Die Betonung liegt auf der zweiten Silbe; den Schluss spricht man kurz, genauso wie im Wort ›Pentagon‹.«
    »Entschuldige bitte. Sesa Mina gefällt mir allerdings noch besser. Ist dir schon aufgefallen, dass in den ersten fünf Buchstaben das Wort ›Sesam‹ steckt, Alibabas Schlüssel für die Schatzhöhle der vierzig Räuber? Ich bewundere deinen Einfallsreichtum!«
    Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Also, darüber habe ich mir ehrlich gesagt noch gar keine Gedanken gemacht. Aber Mina ist wirklich niedlich! Ein bisschen frech vielleicht, aber echt süß.«
    Stella wunderte sich, wie genau sie sich an alles erinnern konnte, was sie in ihrem Wachtraum erlebt hatte. Zwar vergaß sie niemals ihre Träume, aber noch nie waren diese Erinnerungen so farbig, so real gewesen. Obwohl sie ihrem Vater von den Erlebnissen im Cyberspace schon in allen Einzelheiten berichtet hatte, drängte es sie, ihn weiter an ihren Gedanken teilhaben zu lassen. Sie genoss seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit.
    »Es kommt mir fast so vor, als hätte ich mich wirklich auf eine Reise in eine fremde Welt begeben. Ich meine, Illusion war nicht wie ein Film. Ich steckte mittendrin… Ach, ich weiß nicht, wie ich dir das begreiflich machen kann.«
    »Ich verstehe dich sehr gut, Sternchen. Es gibt mehr als nur eine Wirklichkeit. Du hast heute eine neue kennen gelernt. Kein Wunder, dass du aufgeregt bist.«
    »Mehr als eine Wirklichkeit? Es gibt doch nur diese eine Welt, in der wir leben. Oder etwa nicht?«
    Salomon lächelte. »Jede Kreatur auf diesem Planeten lebt im Grunde in einer eigenen Welt. Von Hunden sagt man, sie sähen nur schwarzweiß, dafür haben sie aber einen ausgeprägten Geruchssinn – ihre Welt muss also in mancher Hinsicht von der unsrigen verschieden sein. Bei einer Fliege oder einem Regenwurm dürfte der Unterschied noch viel größer sein.«
    Stella schüttelte angewidert den Kopf, dass ihre blonden Haare flogen. »Lass mich bloß mit Würmern in Ruhe. Allerdings«, sie hob nachdenklich die Hand ans Kinn, »wenn jeder die Welt anders sieht, ist sie doch deshalb noch lange nicht unterschiedlich.«
    »Bist du dir da so sicher? Für dich ist doch das Realität, was dir dein Gehirn und dein Körper als solche anbieten. Du weißt ja, ich habe mich lange Zeit mit der Arbeitsweise unserer Wetware, dem Gehirn, beschäftigt. Zum Beispiel mein Gesicht. In ihm siehst du nichts Absolutes. Mein Aussehen stellt weder eine kosmische Konstante wie die Lichtgeschwindigkeit noch ein mathematisches Faktum dar wie die Gleichung ›eins und eins gibt zwei‹. Was du erblickst, ist nichts weiter als eine mentale Darstellung von mir. Deine Nervenzellen, die Neuronen, werden in bestimmten Gruppen so stimuliert, dass daraus ein ganz spezifisches Muster entsteht…«
    »Du meinst diese Daten, die auch von der Intruder-Sonde gemessen werden?«
    »So in etwa, ja. Diese mentale oder neuronale Abbildung steht in deinem hübschen Kopf also fortan für mein Gesicht. Auch wenn du dich an mich erinnerst oder von mir träumst, werden dieselben Nervenzellen angeregt elektrochemische Signale abzufeuern – du siehst mich, obwohl ich gar nicht anwesend bin. Heißt das, ich existiere dann auch nicht mehr?«
    »Untersteh dich! Ich will, dass du mindestens genauso lange existierst wie ich.«
    Salomon zog Stellas Kopf zu sich heran und küsste sie auf ihre Haare. »Keine Sorge, ich tue mein Bestes. Worauf es mir aber ankommt, ist, dir zu erklären, was deine Welt ausmacht. Sie besteht nicht aus der Summe der Atome, die mein Gesicht bilden. Mit Infrarotaugen würdest du etwas völlig anderes darin sehen. Und das wiederum hätte einen nicht unerheblichen Einfluss auf dein Weltbild. Die Welt, die du für die einzig reale hältst, ist nichts weiter als ein äußerst kompliziertes Netzwerk in deinem Kopf. Ja, mehr noch, mit diesem Netzwerk – deinem Gehirn – erschaffst du deine Welt.«
    »Jetzt übertreibst du aber! Wie sollte das funktionieren?«
    »Nehmen wir ein einfaches Beispiel, einen Hammer.«
    »Ich hasse alles, womit man die Form seiner Finger verändern kann.«
    »Na, umso besser. Ein Hammer ist – genauso wie mein Gesicht – für sich allein betrachtet nur eine mehr oder weniger geordnete Anhäufung

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