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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gefunden, schienen andererseits aber lang genug zu sein, um ganz Emesen-Beecee zu umfassen. Ansonsten war der Ort wie die anderen. Einzig die Häuser, aus denen das laute Nachrichtengeschrei auf die Straßen drang, machten einen etwas nobleren Eindruck. Hier gab es schon einmal Marmorfassaden, große Fensterscheiben und Wirklichkeitshandwerker in kostbarem Tuch. Die Gesichter der überwiegend männlichen Bevölkerung spiegelten die Wichtigkeit ihrer Nachrichten wider. In Wallstrejo wurde wenig gelacht, dafür umso mehr mit Zahlen jongliert.
    Der Zentrale Botendienst war ein Bau in Form eines sechseckigen Sterns. Wenn man sich ihm wie Stella von der Anhöhe im Süden her näherte, konnte man erkennen, dass seine sechs dreieckigen Grundelemente ebenso wie der sechseckige Mittelbau nicht verbunden waren. Zwar nah beieinander, stand doch jeder Gebäudeteil für sich. Der ganze Komplex war in orangefarbenem Sandstein gehalten – sehr seriös!
    Stella konnte ohne Parole eine große Eingangshalle betreten, deren Fußboden ein farbenfrohes Mosaik zierte, eine Szene aus dem Märchen von Alibaba und den vierzig Räubern. Warum gerade dieses Motiv ausgewählt worden war – es zeigte neben dem Helden der Geschichte auch einen umfangreichen Schatz sowie die vierzig Eigentümer desselben –, das entzog sich Stellas Vorstellungskraft.
    Sie trat an einen hohen Tresen, der aus braungelbem, auf Hochglanz poliertem Stein bestand. Oben auf dem Rand reihten sich wie Perlen an einer Kette kleine rote Glaskuppeln, eingelassen in Messingfassungen. Darüber lächelten drei Gesichter. Das mittlere widmete sich Stella und nahm die Parole entgegen.
    »Einen kleinen Moment bitte.« Das Antlitz – trotz des streng zurückgebundenen Haars gehörte es zweifelsfrei einer jüngeren Dame – setzte für kurze Zeit einen nachdenklichen Ausdruck auf. Die Augen waren nach unten gerichtet. Gewiss arbeiteten sich unsichtbare Hände gerade durch die Seiten eines umfangreichen Namensregisters.
    »Ah, hier ist es ja!«, sagte das Gesicht und unterstrich diese Bemerkung mit einem herzlichen Lächeln.
    Stella glaubte, sich verhört zu haben. »Ihr meint, Ihr habt die Kagee -Liste gefunden?«
    »Selbstverständlich.« Ein Anflug von Unwillen. Aber dann jovial: »Bei uns kommt nie etwas weg. Ich werde sogleich ein Lesezimmer für Euch herrichten lassen. Wenn Ihr Euch derweilen setzen mögt?« Diese Frage, eher schon eine Aufforderung, unterstrich das jugendliche Gesicht mit einer feingliedrigen weißen Hand, die nach links deutete.
    Stella wandte den Kopf und erst jetzt fielen ihr die Reihen dick gepolsterter Diwane auf, die etwas abseits des Empfangstisches standen. Sie bedachte das hilfsbereite Gesicht mit einem dankenden Nicken und zog sich auf eines der freien Möbel zurück.
    Diese verwöhnten die mit ihnen Kontakt aufnehmenden Körperteile mit einem weichen, wohligen Gefühl, das der Versuchung Vorschub leistete, sich einfach gehen zu lassen, was zweifelsohne innerhalb kürzester Zeit aus einem Wartenden einen Schlafenden machen konnte. Stella blieb aufrecht sitzen und beobachtete das Geschehen im Foyer.
    In allernächster Nähe saßen oder lagen weitere Besucher und harrten der Dinge. Einige der Wartenden schliefen tatsächlich. Auf einem entfernteren Diwan schnarchte sogar einer, der nicht nur aussah wie ein Holzfäller, sondern auch die passenden Geräusche dazu lieferte.
    Von der Tür her strömten unentwegt Menschen in die Halle, andere verließen das Gebäude wieder. Dennoch herrschten weder Hast noch Gedränge oder gar ungebührlicher Lärm in diesen heiligen Hallen des Wissens, dafür würdevolle Zurückhaltung, respektvolles Auftreten und fast unheimliches Raunen.
    Einige Besucher, und das fesselte Stella nun wirklich, gingen nach ihrem Aufruf in Begleitung livrierter Pagen auf die Rückwand der wie ein Dreieck geformten Halle zu und verschwanden kurz darauf in einem der zahlreichen Durchgänge, die hier ähnlich pedantisch aneinander gereiht waren wie die winzigen Glaskuppeln auf dem Empfangstresen. »Verschwinden« war in diesem Zusammenhang durchaus wörtlich zu verstehen, denn sobald ein Page seinen Gast gestenreich in einen der türlosen Durchlässe expediert hatte, löste dieser sich in Luft auf.
    Stella verfolgte das verblüffende Schauspiel vier- oder fünfmal hintereinander und verstand dennoch nicht, was da geschah. Hinter den Durchgängen war absolut nichts zu erkennen, offenbar wurden sowohl das einfallende Licht als auch die

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