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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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hatte mich davon abgehalten, ans Telefon zu gehen.« Bei diesen Worten warf er Mark einen kurzen, wütenden Blick zu, der keinem in der Runde weiter auffiel. Die Stimme des Projektleiters wurde nun wieder sachlicher.
    »Wir haben es hier mit einem kaskadierenden Phänomen zu tun. Jeder Ausfall verursacht zwei neue Probleme. Vermutlich wird es Tage dauern, bis wir das wahre Ausmaß der Katastrophe kennen. Beinahe das Schlimmste von allem aber ist das Kinderlachen.«
    Mark horchte auf. Er erinnerte sich an das Lachen aus Stellas Träumen. Es gehörte zu den Informationen, die er bedenkenlos an DiCampo weitergegeben hatte. Wohl deshalb sah der Intruder-Chef ihm nun ein zweites Mal in die Augen. Wieder nur kurz. Doch diesmal lag in seinem Blick keine Verachtung, sondern eine unausgesprochene Frage: Ein Lachen aus dem Cyberspace – was hatte das zu bedeuten?
    Für die Anwesenden präzisierte DiCampo seine letzte Bemerkung. »Die verschiedenen Berichte sind in diesem Punkt alle gleich lautend: Ob in Bahnhofshallen, den Greyhound-Terminals oder auf den Flughäfen – überall hallte aus den Lautsprechern ein ›hämisches vielstimmiges Kinderlachen‹. Wenn Sie mich fragen, meine Damen, meine Herren – und darin stimmen die meisten unserer Analytiker mit mir überein –, ist das ein ernst zu nehmendes Warnsignal. Ich bin überzeugt, der Cyberwurm hat seine Penetrierungsphase so gut wie abgeschlossen. Ein eindeutiges Indiz hierfür stellt der simultane Ausfall so vieler Computersysteme in New York dar. Sollte unsere Annahme zutreffen, steht der Wurm unmittelbar vor seiner letzten Metamorphose.«
    DiCampo legte eine rhetorische Pause ein. Seine Stimme hatte zuletzt sehr entschlossen geklungen. Mit Hinweis auf das Kinderlachen verkündete er dann seinen Zuhörern: »Unser Gegner hat den Cyberspace verlassen. Jetzt müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen. Sie wissen, wovon ich rede: von Phase vier, der Zerstörungsphase, dem letzten, alles vernichtenden Angriff.«
    »Ich halte den Kagee -Mutanten für ein höchst komplexes Gebilde. Deshalb kann ich unmöglich voraussagen, ob Ihr Vorschlag überhaupt irgendeine Aussicht auf Erfolg hat. Eines ist sicher: Gegen die zu erwartenden Folgen einer solchen Totalabschaltung dürfte das ›Jahr-2000-Problem‹ wie ein harmloser Kinderstreich anmuten.«
    Der Konferenzraum war so gut wie leer. Nur Mark, DiCampo, Agaf, Benny und sechs weitere Teammitglieder saßen beisammen und diskutierten Möglichkeiten, den verheerenden Folgen der Zerstörungsphase zu entgehen. Stella schlief immer noch in der Obhut von Kimiko. Selbst der Lärm der Alarmsirene hatte sie nicht aufwecken können. Mark war sich nicht sicher, ob er das als gutes Zeichen werten sollte.
    DiCampo hatte gerade seinen schon einmal geäußerten Vorschlag wiederholt: Nur wenn sämtliche Computer weltweit abgeschaltet würden, könne die Vernichtung der darin gespeicherten Informationen verhindert werden.
    Mark war der Idee mit Skepsis begegnet. In der für ihn typischen bildhaften Weise hatte er dieses Gefühl auch begründet: Einen sterbenskranken Patienten einzufrieren war nicht die Lösung seines Problems. Selbst wenn es gelänge, ihn Jahre später ohne zusätzliche Schädigungen wieder aufzutauen – was nach dem derzeitigen Stand der Technik nicht möglich war –, würde ihm das wenig helfen, wenn es dann immer noch keine wirksame Behandlungsmethode für sein Leiden gab. Auf den Cyberwurm übertragen bedeutete das, selbst wenn man die Netzstecker sämtlicher Computer auf dem Erdball zog, würde der Kagee- Mutant dadurch nur stillgelegt. Er steckte aber weiterhin in dem schlafenden Organismus des Internets.
    »Von vielen Computerviren ist bekannt, dass sie sich im Hauptspeicher festsetzen«, gab einer der Cyberworm-Männer zu bedenken. »Ein Herunterfahren der Rechner könnte in diesem Fall also sehr wohl etwas nützen.«
    Eine Mitarbeiterin mit indischen Gesichtszügen nickte und fügte hinzu: »Unsere Arbeitsgruppe hat eine erstaunliche Beobachtung gemacht. Anscheinend ist es zu einem Informationsaustausch zwischen den einzelnen wurmbefallenen Rechnern gekommen, bevor der eigentliche Kollaps erfolgte. Könnte es sein, Professor Kalder, dass der Mutant aus dem Internet so etwas wie ein riesiges Gehirn geformt hat, ein Cyberbrain gewissermaßen?«
    Mark nickte nachdenklich. »Möglich wäre es. Wenn auch dieser ›Denkapparat‹ nicht über die Komplexität unserer menschlichen Wetware verfügt. Sie erinnern sich vielleicht,

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