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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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prekären Familiensituation. Seine ganzen Hoffnungen konzentrierten sich auf die bevorstehende Reise nach Connecticut.
    Am Freitag, dem 5. Juni, nahmen dann Ereignisse ihren Lauf, deren letztliche Auswirkungen zu diesem Zeitpunkt weder Mark noch seine Tochter auch nur erahnen konnten. Und wie die Familiengeschichte der Kalders davon beeinflusst werden würde, das ließ sich noch viel weniger vorhersagen.
    »Sieh mal hier«, sagte Mark unverwandt, sein Löffel mit den Cornflakes sank in die Schüssel zurück und er starrte gebannt auf die Zeitung in seiner Linken.
    »Wieder ein Erdbeben oder eine neue Politikeraffäre?«, fragte Stella gelangweilt.
    »Nein, etwas ganz anderes«, erwiderte Salomon. Seiner Stimme war anzumerken, dass ihn der Artikel noch gefangen hielt. »Erstaunlich!«, sagte er dann nach einer Weile. »Gestern hat es zwei ›Computerunfälle‹ gegeben, einen in Australien und den anderen in den Staaten.«
    »Haben sich irgendwelche User an vergifteten Disketten den Magen verdorben?«, erkundigte sich Stella, nun doch hellhörig geworden.
    Salomon blickte stirnrunzelnd von der Zeitung auf. »Du liegst gar nicht so falsch mit deiner Vermutung. Bei der Australian Mining Company hat die computergesteuerte Abraumbeseitigung versagt. Die Firma verdient ihr Geld mit der Förderung von Opalen und anderen Halbedelsteinen. Ihre fahrerlosen Riesen-Lkws transportieren normalerweise vollautomatisch die nicht verwertbaren Gesteinsschichten zur Halde und laden sie dort ab. Aber gestern haben die Caterpillars verrückt gespielt. Erst wurde wie auf ein Kommando der Abraum einfach in das Verwaltungs- und Computerzentrum der Anlage geschüttet, und als daraufhin die Steuerzentrale ihren Geist aufgab, rasten die Brummis in die Wohnsiedlung der Schatzsucher. Es grenzt an ein Wunder, dass dabei niemand verletzt wurde.«
    »Schatzsucher?«, wiederholte Stella nachdenklich. »Ich meine natürlich die Minenarbeiter.«
    »Aha. Und was ist bei dem anderen ›Unfall‹ passiert?«
    »Der Zentralrechner der First National Bank of Chicago ist total zusammengebrochen. Ein Großteil aller Kundendaten wurde dabei vernichtet. Als man die Datensicherung einspielen wollte, ist der Mainframe-Computer erneut durchgedreht und hat auch noch die Sicherungsbestände verhackstückt. Jetzt ist man dabei, ein Backup-System zu installieren. Da die letzte Datensicherung hinüber ist, muss man mit einer älteren Version anfahren. Das Nacharbeiten sämtlicher Buchungsbewegungen dürfte so gut wie unmöglich sein, meint ein von der Zeitung befragter Experte. Inzwischen läuft bei der First National so gut wie gar nichts mehr: Es gibt keine Überweisungen, keine Auszahlungen mehr – weder via Bankautomat noch am Schalter. Hier steht, kleine und große Anleger fürchteten um ihr Erspartes, während sich unter den Darlehensnehmern hämische Stimmung breit mache. ›Die Blutsauger verlangen sowieso viel zu hohe Zinsen‹, meinte einer der Betroffenen. Der plötzliche ›Erinnerungsschwund des Elektronengehirns‹ käme da gerade recht. Laut dem Artikel weiß nur der Bankcomputer, wer wann wie viel Geld eingezahlt, Aktien gekauft oder Hypotheken aufgenommen hat. Der wirtschaftliche Schaden wird auf einige Milliarden geschätzt, die Kosten für die zu erwartende Flut von Schadenersatzprozessen noch gar nicht eingerechnet.«
    Stella starrte mit glasigen Augen vor sich hin. Salomon hatte zwei Wörter gebraucht, die ihr wie Kagees erschienen waren. Wie die Schattenworte in seinem Spiel lösten sie bestimmte Assoziationen in ihr aus. Vater hatte von »Schatzsuchern« gesprochen und von »Blutsaugern«. Hatte nicht auch sie, Stella, sich vor kurzem noch auf der Suche nach kostbaren Juwelen befunden und war nicht auch sie auf der Jagd nach Zogon, dem Idealbild eines Blutsaugers, gewesen? Diese Gedanken machten ihr Angst. Doch sie schienen zu absurd, entbehrten offenbar jeder realen Grundlage.
    »Weißt du, was das Merkwürdigste an der ganzen Sache ist?«
    Stella blickte benommen zu Salomon auf, als wäre sie gerade aus einem tiefen Traum erwacht. »Nein, was denn?«
    »Die Zeitung schreibt, beide Vorfälle würden auf eine bewusste Manipulation durch maliziöse Software zurückgeführt.«
    »Was für Software?«
    »So bezeichnet man alle Arten von Programmen, die nur zu dem Zweck entwickelt wurden, Schaden anzurichten. Also Computerviren oder Würmer…«
    »Würmer?«, stieß Stella entsetzt hervor, und als sie bemerkte, dass ihre Reaktion sie beinahe

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