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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Antwort sein. Die ganze Zeit, in der ich den Weg zum Fluß hinuntergelaufen war, in der Annahme, Sylvia befände sich direkt hinter mir, mußte sie den Weg zum Häuschen eingeschlagen haben, weil sie dachte, das wäre unser Ziel. Sie hatte die Rosen gepflückt und war dann heimgelaufen. Sie hatte den Instinkt eines Tieres, was Unheil betraf.
    Aber ich wollte sie nicht verlassen, wenn sie doch noch im Wald sein sollte. Die ganzen Jahre hatte ich darauf gewartet, daß Sylvia einmal selbständig etwas tun würde, ohne mich, abgesehen davon, Billies roten Karren zu stehlen…und sie hatte sich gerade diesen Tag ausgesucht, um allein davonzulaufen. Vielleicht war Sylvia zum Fluß hinuntergelaufen, um mich zu suchen, und als sie dort angekommen war, stand ich im Wald und starrte den Goldregen an.
    Ein eisiger Wind kam auf, peitschte die Zweige der Bäume, bis sie mir ins Gesicht schlugen. Die Sonne tauchte nur noch manchmal auf, schien am Himmel dahinzurasen, um dem Wind zu entgehen, versteckte sich hinter dunklen Wolken, die wie schwarze Piratenschiffe über den Baumwipfeln auftauchten. Ich hielt nach Vera auf dem Rasen Ausschau, hoffte, sie könnte mir sagen, wohin Sylvia gelaufen war. Aber Vera war nicht da. Ich lief heim. Sylvia mußte dort sein.
    Kaum war ich in der Tür, da hörte ich den ersten lauten, krachenden Donnerschlag direkt über mir. Blitze zuckten, schlugen unten am Fluß irgendwo ein. Der Regen peitschte so heftig an die Scheiben, daß man befürchten mußte, sie würden springen. Es war immer dämmrig in unserem Haus, außer in den kurzen Augenblicken, in denen die Sonne durch die bleiverglasten Fenster scheinen konnte. Ohne Sonne war es fast finster. Ich wollte Streichhölzer suchen und eine Öllampe anzünden. Dannhörte ich den Schrei. Schrill! Laut! Entsetzlich!
    Etwas polterte die Treppe hinunter. Ich schrie auf und rannte vorwärts, wollte auffangen, was immer es war. Ich stieß mit einem Stuhl zusammen, der nicht an seinem Platz stand–und dabei waren Billie und ich immer so darauf bedacht, jeden Stuhl genau in dieselben Vertiefungen zu stellen, die er in den weichen Teppich gedrückt hatte.
    »Sylvia…bist du das?« rief ich verzweifelt. »Bist du gefallen?«
    Oder war es wieder Vera, und wir mußten warten, bis noch ein weiterer gebrochener Knochen geheilt war?
    In der Nähe des Treppenpfostens stolperte ich über etwas Weiches. Ich fiel auf die Knie und tastete im Dunkeln herum, wollte wissen, was mich zu Fall gebracht hatte. Meine rechte Hand berührte etwas Feuchtes, Warmes, Klebriges. Zuerst dachte ich, es wäre Wasser aus einem der Farnkübel, aber der Geruch…so dick…Blut! Es mußte Blut sein. Vorsichtiger langte ich jetzt auch mit der linken Hand danach. Haar. Langes, dichtes, lockiges Haar. Festes Haar. Vom Gefühl her wußte ich, daß es blauschwarz sein mußte.
    »Billie…oh, Billie. Bitte, Billie.«Hoch droben in der Kuppel klimperten die Mobiles. Reine kristallklare Töne sandten Schauer über meinen Rücken.
    Ich nahm Billies kleinen Körper in meine Arme, weinte und wiegte sie hin und her, hin und her, tröstete sie, wie ich Sylvia getröstet hätte. Noch während ich das tat, jagten sonderbare Gedanken durch meinen Kopf. Wie kam der Wind ins Haus? Wer hatte eines der hohen Fenster oben in der Kuppel geöffnet, die doch niemand außer mir jemals aufsuchte?
    Wieder und wieder dieselben klaren Töne. Ich ließBillies Leib zu Boden gleiten, kroch zu der Stelle, wo eine Öllampe stehen mußte, und tastete in einer Schublade des Tisches nach Streichhölzern. Bald beleuchtete der sanfte Schein unsere Eingangshalle.
    Ich wollte mich nicht umdrehen und sie tot dort liegen sehen. Ich sollte einen Arzt rufen, einen Krankenwagen, irgend etwas tun, falls sie doch noch lebte. Ich wollte nicht einfach glauben, daß sie bereits tot war.
    Tante Elsbeth, Tante Elsbeth, Billie, Billie…verwirrt, Ereignisse, Zeit wiederholte sich…
    Nur mit großen Schwierigkeiten kam ich auf die Beine. Mit bleischweren Füßen näherte ich mich Billies regloser Gestalt. Ihre Augen starrten zur Decke empor, genau wie die Augen meiner Tante dorthin gestarrt hatten.
    Ich kauerte über Billie. Es war zu spät für einen Arzt, um sie noch zu retten. Das verrieten mir ihre gebrochenen Augen. Panik erfaßte mich, ich fühlte mich schwach, mir war übel, und doch hätte ich am liebsten geschrien. Im flackernden Licht der Gaslampe starrte ich auf die hübsche Puppe ohne Beine nieder, die am Fuß der Treppe lag.

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