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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Sechs Schritte entfernt sah ich den kleinen roten Karren, in dem sie gerollt sein mußte, ehe sie einen Fehler gemacht hatte, ihre Position falsch eingeschätzt hatte; aber vielleicht war sie auch die Treppe hinuntergekommen, den Karren hinter sich…um die Lampen anzumachen?
    Tante Elsbeth…Billie…wieder und wieder wechselten die Bilder der beiden Frauen sich ab. Meine Hände fuhren zu meinem Gesicht empor. Es fühlte sich taub an. Tränen drangen durch meine Finger hindurch. Das war keine Puppe da am Boden, in einem leuchtendblauen Gewand, ohne Beine, ohne Füße und Schuhe. Das war ein menschliches Wesen. Schwarze Wimperntusche hatte das Gesicht verschmiert; sie mußte erst kurz vorher geweinthaben. Wer hatte Billie zum Weinen gebracht, wenn Papa fort war? Was war schuld, daß Billies dunkelroter Lippenstift verschmiert war, wenn Papa nicht da war?
    Erstarrt vor Entsetzen stand ich noch da, als mich ein vertrautes Geräusch in die Gegenwart zurückrief: das metallene Rollen kleiner Räder auf dem harten Marmorboden. Ich wollte schreien, wirbelte herum und sah Sylvia, die sich in Billies Karren fortbewegte. Er war gesplittert, aber immer noch zu gebrauchen. »Sylvia…was hast du getan? Hast du Billie die Treppe hinuntergestoßen? Mußtest du diesen Karren so sehr haben, daß du Billie deshalb sogar weh getan hast? Sylvia, was hast du getan?«
    Genau wie früher, als hätte ich nicht einen Großteil meines Lebens damit verbracht, ihr beizubringen, den Kopf hochzuhalten, rollte Sylvias Kopf auf ihrem Gumminacken von einer Seite zur anderen, ihre Augen waren leer, ihr Mund stand auf. Sie grunzte, quietschte, versuchte zu sprechen, aber es kam nichts heraus, was zu verstehen gewesen wäre. Sie schien genauso dumm und unbeholfen wie an dem Tag, an dem sie zu uns gekommen war.
    Sofort schämte ich mich und hatte ein schlechtes Gewissen. Ich eilte zu ihr, wollte sie in die Arme nehmen, aber sie schrak zurück. Die leeren Augen erschienen riesig in dem bleichen, verschreckten Gesicht.
    »Sylvia, verzeih mir…es tut mir leid, so leid…auch wenn du Billie nicht leiden konntest, du hättest ihr nie weh getan, nicht wahr? Du hast sie nicht die Treppe hinuntergestoßen…ich weiß, daß du das nie tun würdest.«
    »Was ist hier eigentlich los?« rief Vera von oben. Sie hatte ein Badetuch um ihren nackten Körper geschlungen, ein anderes um ihr nasses Haar. Sie hielt die Hände vorsich, als wäre sie gerade erst mit ihrer Maniküre fertig geworden und wollte den feuchten Lack nicht verschmieren. »Ich dachte, ich hätte jemanden schreien gehört. Wer war das?«
    Mit Tränen in den Augen starrte ich zu ihr hinauf und zeigte dann zu Boden. »Billie ist gefallen«, sagte ich leise.
    »Gefallen…?« fragte Vera und kam langsam die Treppe hinab, hielt sich am Geländer fest. Als sie unten angekommen war, bückte sie sich und spähte in Billies Gesicht. Ich wollte Billie vor Veras grausamer Neugier schützen. »Oh…«seufzte Vera. »Sie ist tot. Den Blick kenne ich, hab’ihn hundertmal gesehen. Als ich ihn zum ersten Mal sah, hätte ich auch schreien können. Aber jetzt denke ich manchmal, tot sind sie eigentlich besser dran. Als ich in der Badewanne saß, hätte ich schwören können, ich hätte Sylvia auch schreien gehört.«
    Mir stockte der Atem. Ich sah Sylvia an, die wieder in Billies rotem Karren fuhr. Hingerissen und entzückt sah sie aus, als wüßte sie, daß der Karren jetzt für alle Zeiten ihr gehören würde. Glücklich rollte sie herum und sang leise das Spielzimmerlied vor sich hin. Ich fühlte mich fast krank. »Was hast du sonst noch gehört, Vera?«
    »Billie, die Sylvia etwas zugerufen hat. Ich dachte, sie hätte Sylvia aufgefordert, ihren Karren in Ruhe zu lassen, aber du weißt ja selbst, daß das für Sylvia anscheinend unmöglich ist. Sie hat ihn sich immer gewünscht–jetzt hat sie ihn.«
    Als ich noch einmal hinsah, war Sylvia verschwunden. Ich rannte los, um sie zu suchen, während Vera in Papas Büro anrief.
    Was hatte Sylvia getan?

Durchbruch
    Sylvia war nirgends zu sehen. Hysterisch lief ich in den Regen hinaus, suchte sie. »Komm sofort heraus! Versuch nicht, dich zu verstecken! Sylvia, warum hast du das getan? Hast du Tante Elsbeth auch geschubst? Ach, Sylvia…ich will nicht, daß man dich einsperrt, ich…«
    Ich stolperte und fiel zu Boden. Ich blieb einfach weinend liegen, mir war alles egal. Was ich auch tat, wie sehr ich mich auch bemühte, alles lief falsch. Was war nur mit mir, mit

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