Das Netz
Margesson los.
»Ja, das wissen wir. Aber es sieht nicht so aus, als hätten Sie schon geschlafen...«
»Ich habe gebetet, falls Sie überhaupt wissen, was das ist. Aber das bekümmert Sie bestimmt nicht. Rücksicht ist ja ein Fremdwort für Sie. Die Menschen heutzutage haben keine Disziplin mehr und kümmern sich nur noch um sich selbst. Und dann wundert man sich, wenn es irgendwann mal zu einer Revolution kommt.«
»Zu was für einer Revolution denn?«, fragte Marler. »Wenn Sie uns hereinbitten würden, könnten Sie uns Ihre Ansichten sehr viel besser erläutern, finden Sie nicht? Hier draußen ist es bitterkalt, und Sie wollen die Kälte doch bestimmt nicht in Ihr wunderschönes Haus lassen.«
»Eigentlich mag ich es nicht, wenn Frauen mein Haus betreten«, sagte Margesson mit einem geringschätzigen Blick auf Paula.
»Vielen Dank für die freundliche Einladung«, sagte Marler ungerührt und drückte sich an dem hünenhaften Mann vorbei in den Flur, wobei er Paula an der Hand nahm und mit sich zog. »Sie sind der perfekte Gastgeber.«
Margesson machte ein verwirrtes Gesicht und schloss die Tür. Während er hinter den beiden ins Wohnzimmer ging, machte sein seidenes Gewand raschelnde Geräusche.
»Wenn Sie schon mal da sind, dann setzen Sie sich meinetwegen«, sagte er und deutete auf ein Sofa.
Marler und Paula nahmen Platz und sahen sich in dem weitläufigen, mit orientalisch anmutenden Sofas und Sesseln möblierten Raum um. Die Teppiche an den Wänden hatten seltsame Muster. Margesson ließ sich auf einem hohen, thronähnlichen Stuhl nieder und sah sie mit durchdringendem Blick an.
»Wunderschön, diese Teppiche«, sagte Marler.
»Ich habe sie auch mit Liebe ausgesucht. Schließlich verbringe ich viel Zeit hier drinnen. Draußen in der Welt regiert ja die Sünde.« Er hob die Arme, und seine Stimme schwoll zu einer donnernden Predigt an. »Die westliche Gesellschaft ist in die Tiefen der Hölle getaumelt, wo es weder Struktur noch Disziplin gibt, nur schamlose Orgien der allerschlimmsten Art. Sogar die Kinder sind schon bis ins Mark verdorben.«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, Mr Margesson«, sagte Paula und beugte sich vor, »aber ich werde den Eindruck nicht los, als ob Ihnen alles, was Sie von sich geben, von jemand anderem eingetrichert worden wäre. Irgendwie kommt es mir so vor, als hätte ich jede Phrase schon hundertmal gehört.«
Margesson schluckte schwer. Ganz offensichtlich hatte Paulas Bemerkung ihn völlig aus dem Konzept gebracht. Erst blickte er Hilfe suchend hinüber zu Marler, dann starrte er mit großen Augen ins Leere, sodass Paula sich fragte, ob er nicht vielleicht unter Drogen stand.
»Wer hat Ihnen das alles eingeredet?«, fragte Paula weiter. »Wer kommt hierher und indoktriniert Sie mit diesen Ideen, die Sie uns jetzt mit dem Brustton der Überzeugung vortragen? Ist es einer Ihrer Nachbarn?«
»Tut mir Leid, aber Sie müssen jetzt gehen«, murmelte Margesson ungewohnt höflich und starrte Paula verdattert an. »Wer sind Sie?«, fragte er leise, hob dann aber eine seiner riesigen Hände und winkte ab. »Nein, sagen Sie es mir lieber nicht. Ich möchte es gar nicht wissen.«
»Wir wollten uns sowieso verabschieden«, sagte Marler und stand auf. »Vielen Dank, dass Sie uns in Ihren heiligen Hallen empfangen haben.«
Margesson erhob sich so langsam, als ließe er seine Besucher nur ungern gehen. Als er ihnen die Tür öffnete, stellte Marler ihm unvermittelt eine letzte Frage.
»Sehen Sie Palfry eigentlich oft?«
»Wen?«
»Peregrine Palfry, Ihren Nachbarn, der in dem runden Holzhaus dort drüben wohnt.«
»Der kommt gelegentlich vorbei«, antwortete Margesson nach einer langen Pause. »Gott segne Sie...«
Die Kälte traf sie wie ein Hammerschlag. Auf dem Weg hinüber zu Palfrys Haus, das sich immer deutlicher aus dem Nebel schälte und Paula wie immer an einen riesigen Waschzuber erinnerte, sagte Marler, der ganz in Gedanken versunken war, lange nichts.
»Es war gut, dass Sie Margesson in die Enge getrieben haben«, bemerkte er schließlich. »Auch mir kommt er so vor, als ob man ihn einer Gehirnwäsche unterzogen hätte. Vielleicht war es Palfry - immerhin hat sich Margesson viel Zeit zum Beantworten meiner letzten Frage gelassen.«
»Es könnte aber auch die Frau gewesen sein, von der Margesson gesagt hat, dass sie als einzige allein in sein Haus darf.«
Bevor sie an der Tür klingelten, gingen Marler und Paula einmal um Palfrys Haus herum, konnten aber in
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