Das Netz
zusammen mit seinen restlichen Männern den Märtyrertod sterben. Während er die Leiter hinunter in den Laderaum kletterte, sah er, wie seine Männer am Boden knieten und beteten.
Ali holte tief Luft, dann drückte er entschlossen die beiden Knöpfe an der Steuereinheit der Waffe. Während sie mit einem lauten Zischen hinauf zu der Brücke schoss, die sich jetzt direkt über ihnen über den Fluss spannte, warf auch er sich auf die Knie und fing laut zu beten an. Es war das Letzte, was er in seinem Leben tun sollte.
Durch den Sucher ihrer Kamera sah Paula, wie ein schwarzes Geschoss aus dem Laderaum kerzengerade nach oben zischte. Dann schien auf einmal die ganze Welt in einem einzigen grellen Blitz und einem gigantischen Feuerball zu verschwinden.
Als der laute Knall der Explosion an ihre Ohren drang, hatte die Albert Bridge bereits aufgehört zu existieren. Ganze Stücke davon wurden haushoch in die Luft geschleudert und fielen weit entfernt in die Themse, wo sie hohe Flutwellen auslösten. Teile des weißen Metallgeländers und große Steinquader prasselten wie Kanonenkugeln auf die Häuser am Cheyne Walk hernieder, die Buchanan glücklicherweise alle hatte evakuieren lassen.
Nachdem der frische Wind über der Themse den dicken, schwarzen Rauch fortgeblasen hatte, sahen Tweed und seine Leute das ganze Ausmaß der Zerstörung: Von der Albert Bridge, die über hundert Jahre lang die beiden Themseufer verbunden hatte, ragte nur noch einer der vier eleganten Pfeiler in die Höhe, und noch während Paula ihre Kamera in seine Richtung drehte, kippte auch dieser um und stürzte in den Fluss. Die Albert Bridge war nicht mehr.
»Da können Sie mal sehen, was wir an den anderen Brücken verhindert haben«, sagte Newman.
Paula wandte sich ab. Sie wollte nicht mehr fotografieren. Während sie die Kamera zurück in die Tasche steckte, hörte sie in ihrem Kopfhörer Buchanans Stimme.
»Ich möchte Ihnen allen mitteilen, dass Vincent Proctor gerettet wurde«, sagte der Superintendent. »Einem meiner Männer ist es gelungen, ihn in letzter Sekunde zu befreien.«
»Gott sei Dank«, flüsterte Paula.
52
Die Rückfahrt dauerte wegen des noch immer herrschenden Verkehrschaos doppelt so lange wie üblich. Als sie sich der Park Crescent näherten, ergriff Tweed das Wort.
»Ich möchte, dass Sie mich alle morgen zu meinem Treffen mit Warner in Carpford begleiten«, sagte er.
»Ob Warner das recht ist?«, fragte Paula.
»Das ist mir egal. Immerhin haben Sie ja alle dabei mitgeholfen, das Schlimmste zu verhüten.«
»Morgen soll es schön sonnig werden«, bemerkte Newman, der seinen Jeep an Beaurain übergeben hatte und bei Tweed mit eingestiegen war, fröhlich. Als er Paulas Gesicht sah, verstummte er schlagartig. Offenbar war ihr die Zerstörung der Albert Bridge doch sehr nahe gegangen.
»Seltsam, dass keiner der Terroristen versucht hat, im Schlauchboot ans Ufer zu kommen«, sagte er.
»Das kann ich Ihnen schon erklären«, sagte Tweed. »Diesmal waren sie sicher, dass die Brücke in die Luft fliegen und sie den Märtyrertod sterben würden. Also werden sie wohl gebetet haben, bis die Bombe über ihnen explodierte. Angeblich sollen ja auf jeden von ihnen im Jenseits zweiundsiebzig Jungfrauen warten. Da hat man doch etwas, worauf man sich freuen kann.«
»Kurz bevor die Bombe gezündet wurde, habe ich durch mein Fernglas einen schlanken, intelligent aussehenden Mann vom Ruderhaus zur Frachtluke laufen sehen«, sagte Newman. »Könnte das vielleicht der Meisterstratege gewesen sein, der die Anschläge geplant hat?«
»Möglich wäre es schon«, sagte Tweed. »Ach, Bob, bevor ich es vergesse: Erinnern Sie mich doch bitte morgen daran, dass ich Billy Hogarth und Olaf Margesson mit nach Carpford nehme.«
»Warum denn das?«, wollte Paula wissen.
»Weil sie jetzt, wo alles vorbei ist, wieder nach Hause können.«
»Zumindest werden nun keine Leute mehr verschwinden«, sagte Newman. »Ich frage mich allerdings noch immer, was den Vermissten wirklich zugestoßen ist.«
Sie hatten nun die Baker Street erreicht, von der aus es nur noch ein Katzensprung bis in die Park Crescent war. Hier standen die Wagen Stoßstange an Stoßstange, sodass Tweed auf den Gehsteig ausweichen musste, um überhaupt voranzukommen. Nach ein paar Metern stellte sich ihm ein uniformierter Polizist in den Weg, der ihn mit erhobener Hand zum Anhalten zwang.
»Was erlauben Sie sich?«, herrschte der Polizist Tweed an. »Sie können doch nicht
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