Das Netz
hier aus fahren sie mit dem Zug über Paris nach St. Malo in der Bretagne. Dort werden sie von Schleusern erwartet, die sie auf Fischerbooten über den Kanal bringen. Ein paar Meilen von der englischen Küste entfernt steigen sie dann in Schlauchboote um, mit denen sie schließlich an einem entlegenen Strand in der Nähe von Hastings landen. Das ist allerdings nur bei ruhiger See möglich.«
»Und wie geht es dann weiter?«, fragte Beaurain.
»Das konnte mir mein Gewährsmann nicht verraten. Aber dafür hat er mir etwas anderes gesagt: Das Ziel des nächsten Terroranschlags wird London sein.«
»Klingt alles straff durchorganisiert. Und wie sind Sie an diese Informationen gekommen? Ist die Quelle zuverlässig?«
»Ich glaube schon. Aber mehr kann und will ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte Petacci. »Sie müssen sich schon auf mein Wort verlassen.«
»Wissen Sie, wie viele Terroristen auf diese Weise schon nach England gekommen sind?«
»Zwischen dreißig und vierzig. Bisher war ihre Basis in der Nähe von Mailand, aber jetzt haben sie sie ganz nach England verlegt. Wohin genau konnte mir mein Gewährsmann nicht sagen. Sicher ist nur, dass dort ein ganz großer Anschlag geplant wird. Beim Sicherheitsminister brauchen Sie mit dieser Information allerdings erst gar nicht vorstellig werden. Das ist bei diesem Volltrottel verlorene Liebesmüh.«
»Sie scheinen sich in Whitehall ja erstaunlich gut auszukennen«, sagte Beaurain. »Wer sind Sie wirklich?«
»Es gibt Fragen, die stellt man nicht, Monsieur Beaurain. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«
»Aber eines können Sie uns doch sagen«, sagte Paula. »Haben Sie schon mal für einen britischen Geheimdienst gearbeitet?«
»Sagen wir mal so: Es gab gewisse Berührungspunkte mit der Special Branch, aber dann haben sich unsere Wege getrennt. Was aber nicht heißen soll, dass ich keine Kontakte mehr nach London habe. Apropos London, wie gedenken Sie denn nach Hause zu reisen?«
»Genau so, wie wir hergekommen sind«, antwortete Paula. »Wir fahren mit dem Zug von Mailand nach Paris und nehmen von dort den Eurostar nach England...«
»An Ihrer Stelle würde ich fliegen«, sagte Petacci. »Im Zug sind Sie nicht sicher. Von Mailand aus gehen täglich mehrere Flüge nach Heathrow. Nehmen Sie den nächsten Zug, dann erwischen Sie noch die letzte Maschine. Wenn Sie wollen, fahre ich Sie gleich zum Bahnhof.«
»Danke für das Angebot«, sagte Beaurain und überreichte Petacci einen Umschlag voller Banknoten. »Das ist für Sie.«
Petacci winkte ab. »Behalten Sie das Geld. Im Herzen bin ich noch immer ein Patriot.«
18
Als Beaurain und Paula am späten Abend gerade im Anflug auf Heathrow waren, bekam Tweed überraschend Besuch. Außer ihm waren nur noch Marler und Monica im Büro. Während Monica bereits seit Stunden an ihrem Computer saß, war Marler gerade erst hereingekommen.
»Unten ist Besuch für Sie«, sagte Monica mit einem gekünstelten Grinsen. »Jasper Buller, der reizende Leiter der Special Branch.«
»Dann ist er also wieder wohlbehalten aus Italien zurück. Schicken Sie ihn hoch.«
Zur Abwechslung trug Buller mal keinen Kamelhaar-, sondern einen Regenmantel. Er zog ihn lächelnd aus und setzte sich dann hin. Monica konnte nicht glauben, dass das der Mann sein sollte, der seinen Mitarbeitern so unsympathisch war, dass sie ihn hinter seinem Rücken nur den »Bullen« nannten. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Kaffee?«, fragte sie ihn.
»Ja, gern. Ich könnte eine ganze Kanne vertragen«, antwortete er grinsend.
Tweed sah ihn nachdenklich an. Er vermutete, dass Buller seine Unbeschwertheit nur vortäuschte, in Wirklichkeit aber unter Hochspannung stand.
»Darf ich?«, sagte Buller und zündete sich, noch bevor ihm jemand antworten konnte, eine Zigarette an. Über die Flamme seines Feuerzeugs hinweg sah er Tweed durchdringend an. »Ich glaube, wir steuern auf eine höchst gefährliche Krise zu«, sagte er dann leise.
»Dann haben Sie in Mailand also etwas herausgefunden?«
»Ja. Angeblich plant die El Kaida ihren nächsten spektakulären Anschlag hier in London. Wir müssen uns auf ein Blutbad gigantischen Ausmaßes gefasst machen.«
»Hat Mario Murano die Karten auf den Tisch gelegt?«, fragte Tweed
»Nein, das hat er nicht.« Buller nahm von Monica eine große Tasse Kaffee entgegen und lächelte sie dankbar an. »Im Gegenteil, Murano war verschlossen wie eine Auster. Bei meinem letzten Besuch vor sechs Monaten war das noch ganz anders.
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