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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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allerdings auch ausgesprochen paranoid. Und ebendiese Eigenschaften versuche ich auszunutzen. Der Trick ist zu begreifen, wie sie vorgehen. Soll ich Ihnen ein Beispiel geben?»
    «Ja, bitte», sagte Anna.
    «Nehmen Sie die CI A-Operationen in Moskau. Tatsache ist, dass der Geheimdienst dort zurzeit nicht gerade viel zu bieten hat. Wir haben zu wenig echte Agenten und zu wenig echte Einsätze. Aber immerhin haben wir die Möglichkeit, die Illusion größerer Aktivität zu erzeugen, indem wir bestimmte Reize auslösen. Das machen uns die Sowjets ausgesprochen leicht. Der KGB, müssen Sie wissen, will nämlich nicht recht glauben, dass wir tatsächlich so träge und handlungsunfähig sind, wie es den Anschein hat. Entsprechend scheut er keinen Aufwand, um herauszufinden, was wir in Wahrheit vorhaben, und geht dabei nach bestimmten Standardregeln vor. Die muss man nur kennen.»
    «Helfen Sie uns auf die Sprünge», bat Taylor.
    «Nehmen Sie folgendes Beispiel. Wird ein amerikanischer Botschaftsmitarbeiter dabei beobachtet, wie er das Wohnhaus eines Sowjetbürgers betritt, der ernsthaft etwas zu verbergen hat, dann wird dieser Sowjetbürger anschließend ganz automatisch für mindestens ein Jahr überwacht. Manchmal wird ihm auch eine weniger prekäre Aufgabe zugewiesen, bis der KGB sicher sein kann, dass der Betreffende keinen Kontakt zu westlichen Geheimdiensten unterhält. Diese Art der Überwachung ist übrigens auch der Grund, der uns das Anwerben sowjetischer Bürger so schwierig macht. Aber vielleicht begreifen Sie ja bereits, wie wir das auch zu unserem Vorteil nutzen können?»
    «Indem wir das System überschwemmen», sagte Taylor.
    «Genau.» Stone strahlte über das ganze Gesicht. «Wenn sich ein Mitarbeiter des Moskauer Büros bei mir in Washington meldet, schlage ich ihm vor, sich doch hin und wieder in bestimmten Moskauer Wohnhäusern sehen zu lassen. Er braucht einfach nur vorbeizuschauen, irgendwo zu klingeln, sich eine Zeit lang in einer dunklen Nebenstraße herumzutreiben oder ein sinnloses Kreidezeichen an der Hauswand anzubringen – schon schrillen im Moskauer Hauptquartier die Alarmglocken, und der arme Genosse Soundso aus der Wohnung 3-B wird zum Inhalt einer neuen Spionageabwehrakte.»
    «Und darauf fallen die tatsächlich rein?», fragte Taylor. Für seinen Geschmack hörte sich das alles viel zu leicht an.
    «Sicher, wenn man es richtig anstellt. Man muss sich nur auffällig genug verhalten und andere Taktiken damit kombinieren. Möchten Sie noch ein Beispiel hören?»
    «Unbedingt», sagte Anna. Taylor saß nur kopfschüttelnd da und grinste über Stones Durchtriebenheit.
    «Der KGB hat eine vergleichbare Standardprozedur im Umgang mit toten Briefkästen. Es ist in Moskau bekannt, dass unsere Leute vor Ort viel Zeit damit zubringen, potenzielle Stellen zur Übermittlung von Nachrichten ausfindig zu machen, deshalb werden alle Ausflüge von Amerikanern sehr genau verfolgt. Wann immer einer unserer Leute in der Nähe eines geeigneten Briefkastens gesichtet wird – sei es eine schlecht verfugte Außenmauer, ein Loch im Stamm eines Baumes im Gorki-Park oder ein loser Stein in einer Mauer auf den Leninbergen   –, gehen sie der Sache sofort nach.»
    «Und wie?», fragte Anna.
    «Sie versehen den betreffenden Ort mit einer Überwachungsanlage, meistens einer Kamera, die wiederum für mindestens ein Jahr vierundzwanzig Stunden am Tag in Betrieb bleibt. Siesehen, die Herrschaften sind unermüdlich. Das gehört zu ihrem Arbeitsstil. Was also tut der Leiter einer Abteilung für Sonderprojekte angesichts eines so flächendeckend großen Überwachungsnetzes? Was würden Sie tun, Anna?»
    «Ich würde die Mitarbeiter des Stützpunkts dort auf Schatzsuche schicken und sie nach falschen Briefkästen Ausschau halten lassen.»
    «Genau das würden Sie tun», sagte Stone zufrieden. «Aber das wäre noch nicht alles. Von Zeit zu Zeit würden Sie in den falschen Briefkästen auch falsche Nachrichten eines falschen Agenten deponieren. Und manche dieser Nachrichten würden miteinander korrespondieren und sich zu dem Bild einer größeren Operation zusammenfügen, deren tieferen Sinn sich nicht einmal dem Moskauer KG B-Hauptquartier erschließt.»
    «Das ist ja alles höchst raffiniert», sagte Taylor. «Aber was bringt es Ihnen? Sie werben niemanden an, Sie beschaffen keine brauchbaren Geheimdienstinformationen. Sie erreichen nichts weiter, als dass Sie der Sowjetmaschinerie ein bisschen Sand ins Getriebe

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