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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Schönsten und Klügsten unter ihnen erringen. Die, denen das gelang, verfügten über Macht, Ansehen und Geld. Manche investierten in Ländereien, in den Seidenhandel oder ins Edelsteingeschäft. Aber all diese Frauen waren sehr vorsichtig. Sie konnten warten.»
    «Dann war es also schlimm für sie, den Harem zu verlassen?»
    «Es war schlimm für sie, ihre Macht zu verlieren. Und Verführung bedeutete Macht. Eine berühmte Haremsdame, Roxelane, hat es sogar geschafft, den Sultan davon zu überzeugen, sie könne seine Gedanken lesen. Sie konnte ihn zum Lachen bringen! Und er hat sich so sehr in sie verliebt, dass er den übrigen Harem aufgab und sie heiratete.»
    «Welcher Sultan war das?»
    «Süleyman der Prächtige. Der größte und weiseste von allen.»
    «Und die schlechten Sultane, wie waren die so?»
    «Manche waren absolut widerlich. Das willst du bestimmt nicht hören.»
    «Doch, unbedingt. Vielleicht kann man da ja noch was lernen.»
    «Mach keine Witze darüber», sagte Anna. «Wenn du wirklich wissen willst, wie krank sich Männer verhalten können, erzähle ich dir eine Geschichte. Die ist aber alles andere als komisch.»
    «Gut», sagte Taylor.
    «Im siebzehnten Jahrhundert gab es einen Sultan, dem nachgesagtwurde, er habe ein Lieblingsspiel. Er brachte seine Konkubinen in den Garten des Serails. Die Eunuchen hängten Teppiche vor die umstehenden Bäume und Büsche, damit niemand hineinsehen konnte, dann zwang der Sultan die Frauen, sich zu entkleiden und sich nackt vor ihn zu stellen. Und was glaubst du, was er dann tat? Er nahm seine Muskete und schoss die Frauen nieder. Das erregte ihn. Und anschließend fickte er sie.»
    Taylor wandte sich ab. Sie hatte recht. Das war wirklich alles andere als komisch.
    «Derselbe Sultan hatte noch ein weiteres Freizeitvergnügen. Willst du hören, was es war?»
    Taylor gab keine Antwort.
    «Er ließ seine Haremsdamen nackt in einem leeren Bassin im Garten Aufstellung nehmen. Dann befahl er einem Eunuchen, die Ventile zu öffnen, und ein Schwall Wasser ergoss sich über die Frauen. Die meisten konnten nicht schwimmen, sie gingen unter und kamen immer wieder schreiend an die Oberfläche. Am Ende fickte er die, die nicht ertrunken waren.»
    Taylor griff sanft nach ihr. Erst sträubte sie sich, doch dann gab ihr Körper seinen Widerstand langsam auf, sie ließ sich von Taylor in den Arm nehmen und schließlich liebevoll auf die Wange küssen. Während er sie festhielt, summte er mit dünner, nicht mehr ganz sicherer Stimme eine Art Wiegenlied, fast als wollte er sie trösten. Lange Zeit lag sie so in seinen Armen, bis der Barkeeper zur letzten Runde rief. Da schreckte Anna hoch wie ein Stehaufmännchen und sah Taylor aus großen, grünblauen Augen an.
    «Ich bin noch nicht so weit», sagte sie. «Aber das kommt vielleicht noch.»
    «Was machst du eigentlich morgen?», fragte er sie eine halbe Stunde später vor der Tür ihres Hotelzimmers.
    «Nichts», sagte Anna. «Hast du einen Vorschlag?»
    «Eher eine Überraschung.»
    «Und die wäre?»
    «Was hältst du von Sex im Freien?»
    «Gute Nacht.» Anna schob langsam die Tür zu.
    «Ich hole dich um zehn ab», rief Taylor durch den Türspalt. Sie antwortete nicht, und ihr Lächeln konnte er nicht sehen.
     
    Um halb elf fuhr Taylor mit dem weißen Karpetland-Lieferwagen vor. Er hatte eingekauft. Aus einem nagelneuen Kassettendeck drangen die Klänge einer Bachkantate, auf der Ladefläche stand ein Picknickkorb mit französischem Weißbrot, Schinken, Salami und einer Auswahl Käse, einem Glas Senf und einer Flasche Weißburgunder. Und eine Decke.
    Anna wartete im Sommerkleid draußen vor dem Hotel. Sie begrüßte Taylor mit einem Kuss.
    «Steig ein», sagte er. «Wir machen einen Ausflug.»
    «Und wohin geht’s, du Teppichhändler?»
    «An einen verschwiegenen Ort, wo selbst hartgesottene Karrierefrauen tun und lassen können, was sie wollen.»
    Sie fuhren auf den Ring, überquerten den Potomac und fuhren dann nach Westen auf der Route 66   Richtung Winchester. Die Landschaft war typisch für Virginia: niedrige Sträucher am Straßenrand, dahinter üppige grüne Felder und hohe Bäume und ganz in der Ferne die ersten Ausläufer der Blue Ridge Mountains. Sie kamen an hochherrschaftlichen Gestüten vorbei und an düsteren Senken, in denen baufällige Baracken standen. Taylor schien genau zu wissen, wohin er wollte, und Anna hatte beschlossen, keine weiteren Fragen zu stellen. Sie stellte die Füße aufs Armaturenbrett,

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