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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Stone vertrauen?»
    «Warum denn nicht?», fragte Taylor zurück. «Irgendwem muss man schließlich vertrauen, und da ist er mir deutlich lieber als die Schlaftabletten, mit denen man sonst so zu tun hat.»
    Anna dachte an Howard Hambly, an Dennis und die anderen Kollegen aus London. Der große Unterschied zwischen ihnen und Männern wie Taylor und Stone lag   … ja, worin eigentlich?
    In ihrer Härte. Ihrer Respektlosigkeit. In ihrer Bereitschaft, Risiken einzugehen.
    «Ich möchte einfach nur sicher sein, dass wir das Richtige tun», sagte sie.
    «Mach dir keine Sorgen. Natürlich tun wir das Richtige. Wir haben ein heißes Projekt und arbeiten mit einem schlauen Typen wie Stone zusammen. Kein Papierkram, Geld wie Heu. Und die Chance, die hohen Tiere mal so richtig zu beeindrucken. Was willst du mehr?»
    «Das meine ich gar nicht. Ich dachte mehr an ‹richtig› im Gegensatz zu ‹falsch›.»
    «Mit so was kenne ich mich nicht aus», sagte Taylor.
    «Womit kennst du dich denn dann aus?»
    «Mit angewandter Mechanik.»
    «Ach, hör schon auf. Das nehme ich dir jetzt nicht ab. Du würdest doch auch nicht vorsätzlich etwas tun, was du für falsch hältst.»
    «Wahrscheinlich nicht. Aber im Grunde meines Herzens bin ich Hedonist. Ich finde, man sollte immer nur das tun, womit man sich gut fühlt.»
    Anna sah ihn kopfschüttelnd an. «Ich dachte, solche Jack-Kerouac-Verschnitte wie dich gibt es gar nicht mehr. Ihr seid doch längst out.»
    «Tut mir leid», gab Taylor in liebenswürdigem Ton zurück. «Das habe ich jetzt nicht verstanden.»
    Anna kniff ein Auge zu und legte den Kopf schief. «Bestell mir noch einen Drink», sagte sie.
    Taylor musterte sie eingehend. Zum ersten Mal an diesem Tag wirkte sie einigermaßen entspannt. Und während er sie betrachtete, fiel ihm auf, dass sie nicht nur elegant, sondern auch recht teuer gekleidet war: das feine Seidenkleid mit demkleinen Ausschnitt, die hochhackigen italienischen Lederpumps, die hauchdünnen Strümpfe. Im Licht des späten Nachmittags wirkte ihre Haut so zart und weich wie die Magnolienblüte, die in einer Vase auf dem Nebentisch stand. Er betrachtete Annas Augen. Sie schienen fast dieselbe Farbe zu haben wie das grüne Muster auf ihrem Kleid, doch dann drehte sie den Kopf, und im leicht veränderten Licht waren sie plötzlich so blau wie Aquamarine.
    «Du bist wunderschön», sagte Taylor. Er fragte sich, wie sie wohl darauf reagieren würde. Würde sie widersprechen, das Thema wechseln, ihn für sein unprofessionelles Verhalten schelten? Doch nichts dergleichen geschah.
    «Danke», sagte sie einfach nur, lehnte sich auf ihrem Barhocker zurück, schlug die Beine übereinander und nahm sich eine Zigarette. Taylor zündete ein Streichholz an, und Anna zog die Flamme sanft zu sich heran.
     
    Den Rest des späten Nachmittags verbrachten sie mit Reden und diversen Drinks. Als es langsam dunkel wurde, die Stammgäste eintrafen und den Barkeeper Sadlowski mit gutgelaunten Unflätigkeiten begrüßten, schlug Taylor vor, sich in eine der Sitznischen zurückzuziehen. Diesmal versuchte er nicht, den Arm um Anna zu legen, sondern beugte sich nur ganz nah zu ihr heran und breitete seine Aufmerksamkeit über sie wie ein Zelt. Und sie zwängte sich mit ihm in diesen Unterschlupf aus Worten und Gesten. Die Stunden vergingen, und sie saßen immer noch in dieser dunklen Ecke des McGillicuddy’s, bestellten Essen, einen Drink danach und dann noch einen zweiten. Selbst das unspektakuläre Kneipenessen schmeckte ihnen himmlisch. Nach einer endlosen Zeit, als sie so vertraut miteinander waren, wie es zwei Menschen, die voll bekleidet an einem öffentlichenOrt sitzen, nur sein können, stellte sich die folgerichtige Frage. Und es war ebenso folgerichtig, dass Taylor sie stellte.
    «Gehen wir doch zu mir», sagte er. «Oder zu dir.»
    «Ich weiß nicht recht», sagte Anna.
    «Warum denn nicht?»
    «Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon dazu bereit bin.»
    «Ach, komm», sagte er versonnen. «Natürlich bist du bereit. Du bist doch schon ein großes Mädchen. Dreißig Jahre alt.»
    «Neunundzwanzig. Aber so habe ich das gar nicht gemeint. Ich weiß nicht, ob ich schon für dich bereit bin. An dem Nachmittag in Istanbul, als wir den Ausflug gemacht haben, da hast du mir ein bisschen Angst gemacht.»
    «Wie das denn? Ich wollte dich einfach nur aufheitern.»
    «Vielleicht lag es an dem, was du mir über die türkischen Frauen erzählt hast. Du klangst ein bisschen wie ein

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