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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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auf den Stapel Orientteppiche sinken, der mitten im Raum lag. Es sah aus, als würde er ein Nickerchen machen, doch als Anna zu ihm ging, um das zu überprüfen, richtete er sich auf den Ellenbogen auf.
    «Lass uns verschwinden», sagte er. «Ist doch todlangweilig hier.»
    «Das geht nicht. Wir haben Arbeit.»
    «Eben nicht. Stone hat sich doch schon um alles Organisatorische gekümmert. Es ist reine Zeitverschwendung, weiter hier herumzusitzen.»
    Da konnte Anna ihm nicht widersprechen. «Und wo sollen wir dann hingehen?», fragte sie.
    «Keine Ahnung. Wir machen einen kleinen Spaziergang, schauen uns die Sehenswürdigkeiten an.»
    «Die Sehenswürdigkeiten von Rockville?»
    «Wieso denn nicht?»
    «Und was ist mit Marjorie?»
    «Die kommt schon klar. Wozu sollte sie uns brauchen?»
    Auch das war nicht zu bestreiten. Marjorie lief gewissermaßen auf Autopilot. Und so sagte Anna: «Ich hole nur meine Handtasche.»
    Taylor ging zu Marjories Schreibtisch hinüber. «Wir sind ein Weilchen weg. Wenn Sie wollen, können Sie auch nach Hause gehen.»
    «Aber nein, Mr.   Goode. Ich bin von Montag bis Freitag jeden Tag bis fünf Uhr hier.»
    «Gut, wie Sie meinen. Falls wir bis dahin nicht zurück sind, machen Sie doch bitte das Licht aus und schließen ab.»
    «Alles klar», erwiderte Marjorie.
     
    Auf der Rockville Pike staute sich der Freitagnachmittagsverkehr, und all die Toyotas, Datsuns und Hondas krochen wie selbstgefällige kleine Wasserwanzen neben ihren größeren, mürrischen amerikanischen Verwandten dahin. In dieser Hinsicht bot der Highway die perfekte Momentaufnahme amerikanischenLebens im Zeitalter der Mobilität, eine vorstädtische Fernstraße, die die Landschaft vereinheitlicht und die Vororte jeder beliebigen Stadt mehr oder weniger gleich aussehen lässt. Man hätte sie einfach nehmen und samt ihren Schnellimbissen, Reifenhandlungen und L-förmigen Einkaufspassagen irgendwo anders hin verpflanzen können, etwa nach Atlanta oder nach St.   Paul – es wäre niemandem aufgefallen. Das war es, das neue Amerika. Die einzelnen Teile des Landes, einst so vielfältig und bunt wie eine Steppdecke, in der sich die jeweiligen Eigenheiten und fixen Ideen der verschiedenen Regionen vereinten, waren inzwischen alle gleich.
    «Vielleicht finden wir ja irgendwo eine Kneipe», sagte Taylor, als sie in den lauten, stickigen Spätnachmittag hinaustraten.
    «Hier draußen?»
    «Klar doch. Auch Vororte haben Kneipen. Die heißen zwar allesamt PJ’s oder TJ’s und haben alle dieselben Hängepflanzen und dieselbe Pseudokunst an den Wänden, aber die Drinks schmecken trotzdem. Komm mit.»
    Taylor legte ihr ganz freundschaftlich den Arm um die Schultern, und Anna schüttelte ihn ebenso freundschaftlich wieder ab.
    Ein paar Straßen weiter fanden sie ein Etablissement namens McGillicuddy’s. Es sah genau so aus, wie sich ein Restaurantkettenbetreiber ein irisches Pub vorstellt: an den Wänden alte Guinness- und Harp-Plakate, im Vorraum Schiffslaternen aus Messing und über der Theke ein völlig deplatzierter Elchkopf mit einem Schild am Geweih: «Küss mich, ich bin Ire». Der Barkeeper trug eine grüne St.-Patrick’s-Day-Schirmmütze und ein Namensschild mit der Aufschrift: Sadlowski.
    «Was darf ’s denn sein, Freunde?», fragte er.
    Anna warf einen Blick auf die Uhr. Es war gerade erst halb fünf.
    «Ist es nicht noch ein bisschen früh für Alkohol?», fragte sie.
    «Nicht nach Istanbuler Zeitrechnung.»
    Anna bestellte eine Piña Colada ohne Cocktailkirsche und Taylor einen Martinicocktail.
    «Was hältst du denn von Stones kleiner Operation?», fragte Anna. Das hatte sie Taylor schon den ganzen Tag fragen wollen.
    «Gefällt mir.»
    «Im Ernst?»
    «Klar. Das ist doch wenigstens mal was. Auf so was warte ich schon seit Jahren.»
    «Du findest die Sache also nicht zu abwegig?»
    «Nein. Ich finde sie gerade abwegig genug.»
    «Und Mr.   Stone? Glaubst du, er hat das alles vom Direktor absegnen lassen?»
    Taylor schüttelte den Kopf. «Keine Ahnung. Aber ehrlich gesagt ist mir das auch völlig egal. Der Direktor ist ein alter Schwachkopf. Ich bin mir sicher, Stone hat alles mit demjenigen geklärt, mit dem er solche Dinge klären muss. Er ist schließlich Profi. Er leistet sich keine Fehler.»
    «Eigentlich hört es sich so an, als müsste er mit niemandem irgendetwas klären.»
    «Umso besser», sagte Taylor.
    Die Drinks kamen, und Annas argwöhnischer Blick wurde ein wenig weicher. «Du glaubst also, wir können

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