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seinem Wiedereintauchen in den Orient ging er zu Fuß weiter zum Konsulat und genoss dabei die unvergleichliche Mischung aus Anonymität und Kapitulation, die für ihn die wahre Religion des Ostens war.
Taylors Kollegen freuten sich, dass er wieder da war. Nur sein bürokratieverliebter Stellvertreter, der es genossen hatte, allein für alle administrativen Angelegenheiten zuständig zu sein, machte ein langes Gesicht. Er befürchtete offenbar, dass Taylor ihm diese Verantwortung wieder entziehen könnte, aber nachdem Taylor mit ihm ein Gespräch unter vier Augen in der Taucherglocke geführt hatte, war er wieder beruhigt. Sein Spezialauftrag, so erklärte Taylor, würde bestimmt noch mehrere Monate lang dauern, und für diese Zeit könne sein Stellvertreter weiterhin die Aufgaben des Dienststellenleiters wahrnehmen.Der Stellvertreter zeigte sich hocherfreut und überreichte Taylor einen Stapel mit Papieren, die er für ihn aufgehoben hatte. Die meisten von ihnen waren es nicht wert, gelesen zu werden, aber ganz oben lag eine Einladung zu Stanley Timmons’ Ausstandsfeier, die in ein paar Wochen im Golfclub von Ankara stattfinden sollte.
Als Munzer Achmedow am nächsten Tag aus New York in Istanbul ankam, begab er sich sofort in die Wohnung in Aksaray, zu der ihm Taylor einen Schlüssel gegeben hatte. Sie lag ziemlich abgeschieden in einer kleinen, staubigen Seitenstraße des Atatürk Boulevards. Vor zehn Jahren hatte sie die CIA als sicheres Haus in Istanbul gekauft, verwendete sie aber aus Angst, die Gegenseite könnte von ihr erfahren haben, nur noch selten. In Achmedows Fall war das egal. Schließlich war es der Sache eher dienlich, wenn er mit der CIA in Verbindung gebracht wurde.
Vor seiner Abreise aus Amerika hatte Taylor mit Munzer genau besprochen, was er nach seiner Ankunft in Istanbul zu tun hatte. Schon am Vormittag seines ersten Tages würden sie sich zum ersten Mal treffen, damit Taylor dem Usbeken Zeit und Ort weiterer Zusammenkünfte mitteilen konnte. Falls Munzer mit Taylor einmal außerplanmäßig Kontakt aufnehmen musste, sollte er von einer Telefonzelle aus in Taylors Wohnung in Arnavutkoy anrufen und unter dem Namen Sukru auf den Anrufbeantworter sprechen, dass der bestellte Teppich nun abholbereit sei. Taylor würde dann am nächsten Morgen in den Gärten der Sultan-Ahmet-Moschee auf ihn warten. In einem wirklichen Notfall war Taylor auch im Konsulat zu erreichen, wohin sich Achmedow auch jederzeit flüchten konnte, wenn er verfolgt wurde. Schließlich war er ja amerikanischer Staatsbürger.
Munzer, dessen Aufgabe in Istanbul im Aufbau einer hauptsächlich von den Usbeken getragenen Befreiungsbewegung für Turkestan bestand, hatte sich aus New York seine gerahmte Fotografie von Mustafa Chokay und ein ähnliches Portrait von Ali Merdan Topcubasi mitgebracht. Topcubasi war ein Anführer der muslimischen Rebellen gewesen, die in den Zwanzigerjahren gegen die Rote Armee gekämpft hatten. Noch am Abend seiner Ankunft hatte Munzer diese beiden Ikonen in seiner Istanbuler Wohnung aufgehängt, ebenso wie die turkestanische Version jener berühmten Karikatur von Saul Steinberg, in der die Welt so dargestellt wird, als würde sie direkt hinter Manhattan am anderen Ufer des Hudson enden. Munzers Karte zeigte ein riesiges Turkestan, das alle anderen Staaten der Region, inklusive Russland und China, wie winzige Zwergstaaten aussehen ließ. Das dritte und letzte Ding, das die Wände von Munzers Hauptquartier zierte, war gleichzeitig das seltsamste von ihnen. Es war Munzers Lieblingszitat eines Naqshbandi-Sheiks aus dem Nordkaukasus namens Uzun Haji, der in den ersten Jahren nach der Oktoberrevolution fanatisch gegen die Russen gekämpft hatte – und zwar gegen die weißen wie die roten. Das Zitat in altarabischer Schrift lautete: «Ich drehe ein Seil, an dem ich Ingenieure, Studenten und alle anderen aufhängen werde, die von links nach rechts schreiben.»
Am nächsten Vormittag klopfte Taylor Punkt zehn Uhr an Munzers Tür. «Ist Mr. Yakub da?», fragte er, so, wie sie es ausgemacht hatten.
«Nein, ich bin sein Bruder», kam es sofort von hinter der Tür zurück. Taylor versuchte sich zu erinnern, ob sie noch einen weiteren Erkennungscode vereinbart hatten. Er glaubte nicht, aber leider hatte er die Karteikarte, auf die er den Dialog notierthatte, weggeworfen. Er klopfte abermals an die Tür, aber sie wurde nicht geöffnet.
«Machen Sie bitte auf», sagte er freundlich. Taylor konnte
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