Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Netzwerk

Das Netzwerk

Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
Vom Netzwerk:
ausstießen. Zwischen ihnen kurvten
Dolmus
genannte Sammeltaxis herum, meist alte, mit viel Engagement am Leben erhaltene Buicks und Chevrolets mit farbenfrohen, am Innenspiegel hängenden Amuletten, die den bösen Blick abwehren sollten. Je näher sie dem Bahnhof kamen, desto mehr schien Munzer Achmedow aufzublühen: ein Mann aus Asien, den jeder Schritt, den er tat, seiner alten Heimat näher brachte. Taylor ging neben ihm, eine Plastiktüte in der Hand.
    «Hören Sie, Munzer», sagte Taylor. «Sie sind doch ein Sufi-Bruder, nicht wahr?»
    «Warum fragen Sie?»
    «Sie gehören zu den Naqshibandi, oder nicht?»
    «Es tut mir leid, aber darüber darf ich nicht sprechen. Nicht nur Sie haben Ihre Geheimnisse.»
    «Sie sind in Zentralasien ziemlich stark, nicht wahr? Die Sufi-Bruderschaften meine ich.»
    «Sehr stark. Man nennt sie auch die Hüter des Islam. Die offiziellen Moscheen können Sie vergessen, die werden vom KGB kontrolliert. Der wahre Islam sind die im Untergrund operierenden Tariquats. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, müssenSie einen anderen fragen als Munzer Achmedow. Von dem erfahren Sie nichts.»
    «Okay. Aber eine Frage werden Sie mir doch beantworten: Warum sind die Sufis so stark?»
    «Weil sie Bruderschaften sind, die sich nach außen völlig abschotten. Niemand verrät ihre Geheimnisse. Wenn die Naqshibandi herausfinden, dass eines ihrer Mitglieder ein KG B-Spitzel ist, dann ist er erledigt. Niemand redet mehr mit ihm. Niemand gibt ihm seine Tochter zur Frau. Er ist isoliert. So isoliert, dass er besser tot wäre. Dasselbe geschieht mit einem Bruder, der Geheimnisse an die CIA verrät, mein Freund, also stellen Sie Munzer Achmedow keine Fragen über seine Tariquat
.
»
    «Tut mir leid. Ich habe das Thema nur angeschnitten, weil ich Ihnen etwas geben will, das Ihre Naqshibandi-Brüder interessieren wird.»
    «Und was soll das sein, bitte?»
    Taylor griff in seine Plastiktüte und zog eine Tonbandkassette hervor, die er Munzer überreichte. «Die ist für Sie. Ich habe noch viele Kopien davon. Sehr viele.»
    Munzer las das russische Etikett. «Sibirische Volkslieder», sagte er und schnaubte verächtlich. «Und was soll ich damit?»
    «Auf der Kassette sind keine sibirischen Volkslieder, Munzer, sondern die Predigt eines Naqshibandi-Sheiks aus Saudi-Arabien. Er spricht darüber, dass jeder Moslem und speziell die Angehörigen einer Naqshibandi-Bruderschaft die Pflicht haben, Samarkand, Bukhara und Ferghana von den Atheisten zu befreien.»
    Munzer betrachtete die Kassette so eingehend, als suche er nach einem winzigen Sheik in ihrem Inneren. «Wie viele Kopien davon haben Sie?»
    «Tausende.»
    «Darf ich diese hier mitnehmen und sie mir anhören?»
    «Klar. Nehmen Sie doch gleich noch ein paar mehr mit und verteilen Sie sie an Ihre Freunde.»
    «Was machen Sie mit den restlichen?»
    «Wir schicken Sie dorthin, wo sie Gutes bewirken können. Nach Samarkand, Bukhara und Ferghana.»
    «Jetzt machen Sie wohl ernst, oder?»
    «Ja», erwiderte Taylor. «Jetzt machen wir ernst.»
     
    32  Frank Hoffman hockte schwer und quadratisch auf dem Sofa in Anna Barnes’ Athener Hotelzimmer und wartete auf Ali Ascari. Diesmal hatte Anna eine Suite im St.   George Lycabettus gebucht, einem kleineren, unauffälligen Hotel gleich oberhalb des Syntagma-Platzes. Es war ebenso dunkel wie laut im Raum, was auf Hoffmans Vorsichtsmaßnahmen zurückging. Er hatte das Zimmer zunächst sorgfältig nach Wanzen abgesucht, dann der Vollständigkeit halber den Fernseher und sämtliche Lampen ausgesteckt, das Mundstück des Telefonhörers abgeschraubt und das Mikrophon daraus entfernt und schließlich eine kleine, tragbare Lärmmaschine eingeschaltet. Diese umsichtigen Maßnahmen erzeugten eine völlig unwirkliche Atmosphäre: Ohne elektrisches Licht war es dämmrig und düster im Zimmer, und dazu noch dieses ohrenbetäubende weiße Rauschen.
    Anna konnte es zwar kaum fassen, doch Hoffman war offensichtlich nervös. Immer wieder tastete er nach den beiden Pistolen, die er in Schulterholstern unter dem Sakko trug, als wollte er sich davon überzeugen, dass sie noch da waren. Anna war aufgefallen, dass Hoffman einen merkwürdigen Gang entwickelte, wenn er bewaffnet war: Er schwang beide Arme gleichzeitig nach vorn, anstatt sie abwechselnd pendeln zu lassen. Vielleichtwollte er dadurch in der Lage sein, beide Waffen gleichzeitig zu ziehen.
    Nach einiger Zeit hörte Hoffman auf, ständig nach den Pistolen zu tasten, und mampfte

Weitere Kostenlose Bücher