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er gerne, dass er ein Nachkomme jenes persischen Architekten sei, der die Bibi-Khanum-Moschee in Samarkand gebaut habe – eine riesige Ruine neben dem Markt, die vor Jahrhunderten einfach von sich aus eingestürzt war. Wenn er das sagte, lachten die Usbeken und fragten ihn, ob er denn wisse, was mit dem Architekten der Moschee geschehen war.
Natürlich kenne er die Geschichte, antwortete dann der Iraner. Der große Tamerlan hatte den Architekten geholt, umeine Moschee zu Ehren seiner schönen chinesischen Frau mit Namen Saray Mulk Khanum zu bauen. Danach ging er auf einen seiner Kriegszüge, und Saray wollte ihn bei seiner Rückkehr damit überraschen, dass die Moschee fertig war. Als sie den Perser drängte, seine Arbeit so schnell wie möglich zu vollenden, erklärte er sich dazu bereit, wenn er ihr einen Kuss auf die Wange geben durfte. Saray ging auf den Handel ein, aber als die Lippen des Persers die Wange der Königin berührten, brannten sich diese durch den Stoff ihres Schleiers und drückten ihr ein feuerrotes Schandmal auf. Tamerlan gefiel das natürlich ganz und gar nicht, und nach seiner Rückkehr ließ er seine Frau in den höchsten Turm der neuerbauten Moschee sperren. Als er dasselbe auch mit dem Architekten tat, entfaltete dieser, kaum dass er auf dem Turm war, ein Paar Flügel und flog zurück nach Persien. So wollte es die Legende.
Der Iraner genoss es, den Usbeken diese Geschichte von seinem angeblichen Ahnherrn zu erzählen, und tat das überall auf dem Markt sowie in einem kleinen Buchladen in der Akhunbajew-Straße. Das Geschäft befand sich gegenüber vom Studentenheim der Universität und direkt neben einer Milizkaserne. Als der KGB den Inhaber des Ladens am nächsten Tag eingehend befragte, konnte dieser sich noch sehr gut an den Besucher erinnern. Der Mann sei ein Iraner gewesen, erzählte er. Ein Architekt. Er habe nach einem Buch für Bauingenieure gefragt, einem Standardwerk, das man in praktisch jedem Buchladen der Sowjetunion zu kaufen bekam. Der Inhaber habe dem Mann das Buch geholt, dieser habe gesagt, das hätte er schon und zum Beweis sein eigenes Exemplar aus der Tasche gezogen.
Nein, sagte der Inhaber des Buchladens, der Iraner könne die Bücher eigentlich nicht vertauscht haben. Schließlich habe er ihm ständig auf die Finger gesehen, denn bei einem Ausländerkönne man ja nie wissen, was er im Schilde führt. Aber wer weiß, vielleicht habe der Iraner es ja doch irgendwie geschafft, ihn kurz abzulenken, schließlich seien ja noch andere Kunden im Laden gewesen. Jedenfalls habe er das Buch wieder zurück ins Regal gestellt, das unglücklicherweise an der Verbindungswand zum nächsten Haus, der Milzkaserne, stand. Natürlich habe sich das Buch nicht seltsam angefühlt, sonst hätte er es ja nicht wieder ins Regal gestellt.
Die Bombe, die in der Nacht explodierte, zerstörte den Buchladen komplett, was aber weniger Aufsehen erregte als die Tatsache, dass sie auch ein riesiges Loch in die Wand der Milizkaserne riss. Die Milizionäre umgaben sich gerne mit dem Nimbus der Unverwundbarkeit, und wenn sie in ihren hohen Lederstiefeln durch die Stadt marschierten, wechselten die Leute die Straßenseite – sie waren verhasst, besonders in abgelegenen Provinzstädten irgendwo in der Weite des riesigen Sowjetreichs. Und so kam es, dass viele Einwohner von Samarkand klammheimliche Freude und eine gewisse Bewunderung für den persischen Architekten empfanden, der wie sein Uhrahn eine schlimme Tat begangen hatte und dann weggeflogen war.
Trotz sofort eingeleiteter Großfahndung blieb der Perser unauffindbar, und als die Behörden in ihren Unterlagen nachsahen, mussten sie zu ihrem Verdruss feststellen, dass es nicht einmal einen Beleg für seine Einreise in die Sowjetunion gab. Vielleicht war der Perser, der sich anscheinend in Luft aufgelöst hatte, überhaupt kein Perser gewesen.
Auch wenn der KGB weitgehend im Dunklen tappte, wusste er genau, was er zu tun hatte, und bald machte ein neues Gerücht die Runde: Die beiden Bomben in Usbekistan – jedermann wusste, dass auch in Taschkent eine hochgegangen war – seien angeblich von einer von Eriwan aus gesteuerten armenischenTerrororganisation gelegt worden. Die armenischen Händler auf den Märkten wollten mehr Geld und versuchten deshalb, ehrliche Usbeken mit ihren Bomben in Angst und Schrecken zu versetzen. Es war vollkommen logisch: Denn die Armenier waren schließlich an allem schuld.
VII
LUCY
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