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Erstes bei der Zentrale anrufen und sich erkundigen, worum es sich bei der Anfrage handele.
Immerhin fanden sich in den Akten der Abteilung für Privatpersonen zwei vielversprechende Kandidaten. Der eine war ein armenischer Arzt aus Stanford, ein Einwanderer der zweiten Generation, der häufig zu internationalen Wissenschaftskongressen fuhr und regelmäßig darüber berichtete, was seine sowjetischen Kollegen dort von sich gaben. Seiner Akte zufolge sprach er allerdings kein Armenisch und hegte auch kein großes Interesse für allgemeine armenische Belange – nicht ganz der Richtige also, um eine armenische Untergrundbewegung ins Leben zu rufen. Der Zweite arbeitete als Journalist bei einem Nachrichtenmagazin, und der Geheimdienst hatte ihn in die Akten aufgenommen, weil er sich Anfang der Siebziger einmal bereiterklärt hatte, bei einer Geschäftsreise nach Ungarn eine sowjetische COMIN T-Einrichtung in der Nähe von Budapest in Augenschein zu nehmen. In den folgenden Jahren hatte er noch ein paar weitere kleine Aufträge übernommen, sich dann aber zurückgezogen. Er sprach fließend Armenisch, und sein ehemaliger Vorgesetzter beschrieb ihn als etwas jähzornig,wenn er zu viel getrunken hatte. Kurz gesagt: der perfekte Mann für den Job. Es gab nur eine unüberwindliche Hürde: Seit dem großen Aufruhr Mitte der Siebziger war es der CIA streng verboten, amerikanische Journalisten als externe Agenten anzuwerben, und Anna vermutete, dass dieses Verbot auch für Stones Operationen galt.
Damit blieb nur ein letzter Hauptzweig der armenischen Diaspora: die Emigrantenbevölkerung in Frankreich. Und dort, zwischen all den armenischen Buchhändlern, Juwelieren und Reisebüroinhabern, fand Anna schließlich einen vielversprechenden Kandidaten. Im Grunde war er geradezu ideal, die Sache hatte nur einen schwerwiegenden Haken: Der Betreffende war kein Emigrant. Er war ein waschechter sowjetischer Bürger, ein Doktor der Medizin, der seit zwei Jahren im Rahmen einer Graduiertenförderung Forschungen an der Medizinischen Fakultät der Sorbonne betrieb und im Herbst nach Eriwan zurückkehren sollte.
Der Mann hieß Aram Antoyan und war im Jahr zuvor aufgrund eines dummen Fehlers in die Datenbank der CIA geraten. Die französische Spionageabwehr, die
Direction de la Surveillance du Territoire
, hatte die CI A-Außenstelle in Paris 1977 routinemäßig von seiner Ankunft unterrichtet und mitgeteilt, er würde sich mit «Nuklearmedizin» befassen, was furchterregend klang, im Grunde aber nur bedeutete, dass er radioaktive Substanzen zur Funktionsdiagnostik bei Niere, Blase und anderen inneren Organen einsetzte. Irgendein Schwachkopf aus dem Pariser Büro hatte aber geglaubt, «Nuklearmedizin» habe etwas mit Atombomben zu tun. Eine Operation unter falscher Flagge wurde anberaumt, um Einzelheiten herauszufinden und den Versuch zu machen, Doktor Antoyan zu rekrutieren. Ein NOC, der sich als belgischer Anästhesist ausgab, unternahm in Pariseinen Vorstoß in seine Richtung, ließ dann aber rasch wieder von ihm ab, weil er zu der Überzeugung gelangte, dass dieser sowjetische Arzt tatsächlich nichts weiter war als ein sowjetischer Arzt: ein Wissenschaftler, der nicht die geringste Ahnung von militärischen Dingen zu haben schien.
Das einzig Auffällige an dem jungen Doktor Antoyan, hatte der NOC berichtet, liege darin, dass er sich höchst leidenschaftlich zu armenischen Fragen äußere, bis hin zu offener Kritik an der offiziellen politischen Linie der Sowjetunion im Umgang mit ihren Republiken. Die Akte schloss mit einem kurzen Briefwechsel zwischen der Zentrale und Paris, in dem es darum ging, ob es sich lohnen könnte, die Sache weiterzuverfolgen. Die antisowjetischen Äußerungen gaben zwar Anlass zur Hoffnung, doch die Zentrale war zu dem Schluss gekommen, dass Doktor Antoyans Zugriff auf Geheiminformationen nach seiner Rückkehr in die Heimat praktisch gleich null sein würde und es deshalb die Zeit und die Mühe nicht wert sei, ihn anzuwerben.
«Ich glaube, ich habe den richtigen Mann gefunden», verkündete Anna, als Stone drei Tage später zu ihr ins Büro nach Rockville kam. Stone hatte versucht, die Besprechung zu vermeiden, und war letztlich nur gekommen, weil Anna gedroht hatte, ihn andernfalls in Langley aufzusuchen.
«Von was für einem Mann sprechen Sie, meine Liebe?», fragte er. Er trug an diesem Tag eine gestreifte Fliege, mit der er noch adretter und korrekter aussah als sonst.
«Von meinem armenischen
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