Das Netzwerk
Tochter der Sechzigerjahre bloß immer noch wie ein leerer Handschuh fühlen, der schlaff und nutzlos war, wenn ihn nicht ein anderer Mensch mit Fleisch und Leben erfüllte? Das war doch absurd.
Nach ein paar Wochen verwandelte sich die Leere in einendumpfen Schmerz, was einerseits besser, andererseits aber auch schlimmer war, weil es sich so gar nicht mehr nach Liebe anfühlte. Und in dieser neuen Talsohle der Liebeslosigkeit kamen auch die Spekulationen über Taylor. Warum rief er nie an, schrieb nicht einmal? Warum schickte er keine albernen kleinen Botschaften, so wie jener legendäre NOC aus San Francisco, der während eines endlosen Einsatzes in Peking Lieder aus
My Fair Lady
ins Chinesische übersetzte und sie mit der Post nach Hause schickte, um seine Liebste zu amüsieren und die chinesischen Behörden vor unlösbare Rätsel zu stellen? Und vor allem: Mit wem ging er ins Bett? Im Grunde neigte Anna dazu, anderen Menschen zu vertrauen, vor allem den Menschen, die sie liebte, doch bei Taylor schien ihr dieses Vertrauen völlig fehl am Platz. Schließlich half ihr die Arbeit, das bevorzugte Beruhigungsmittel des modernen Karrieremenschen, all die Fragen niederzukämpfen, und wurde zu Annas ganz persönlichem Protest gegen die Ungerechtigkeit, jemanden so sehr lieben zu müssen.
In ihrer selbstgeschaffenen Funktion als Leiterin der Armenienabteilung musste Anna sich vor allem darüber klar werden, wonach sie eigentlich suchte. Anfangs hatte sie eine armenische Entsprechung zu Munzer Achmedow im Sinn gehabt, einen Emigranten, der selbst im Westen lebte, aber trotzdem noch nationalistische Gefühle für seine Heimatrepublik hegte und weiterhin mit ihr in Kontakt stand. Das erwies sich aber als unerwartet schwierig. Denn die meisten armenischen Emigranten, die im Westen lebten, widmeten sich vernünftigerweise ganz weltlichen Dingen: Tagsüber verdienten sie ihr Geld und abends gingen sie aus.
Auf ihrer Suche nach brauchbaren Kandidaten nahm Anna die unterschiedlichsten Vorposten der armenischen Diasporaunter die Lupe. Die CIA besaß Unterlagen zu einer Handvoll Armenier aus dem Libanon, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als freie Agenten für den Stützpunkt in Beirut tätig gewesen waren. Einer davon, ein Goldhändler aus der Hamra-Straße, war in den Fünfzigerjahren sogar ausdrücklich dafür rekrutiert worden, um ein Netzwerk im sowjetischen Armenien aufzubauen. Offenbar reiste er einmal im Jahr dorthin, um Verwandte zu besuchen, und hatte einem Mitarbeiter der Sowjetabteilung in Aussicht gestellt, seine Angehörigen – allesamt Parteimitglieder – als amerikanische Spione anzuwerben. Es war aber nicht viel dabei herausgekommen. Wie bei den meisten Armeniern, deren Unterlagen beim Geheimdienst verstaubten, hatte sich auch im Fall des Goldhändlers herausgestellt, dass seine rhetorischen Fähigkeiten die geheimdienstlichen bei weitem überwogen. Er kehrte mit zahllosen Entschuldigungen im Gepäck aus Eriwan nach Beirut zurück. Ein Cousin war inzwischen nach Novosibirsk verzogen, ein anderer schwer erkrankt. Es tue ihm unglaublich leid. Vielleicht könne er es ja im Jahr darauf noch einmal versuchen. Da hatte die CIA jedoch längst das Interesse verloren.
Die Armenier im Libanon schienen die Mühe auch nicht wert zu sein. Sie waren offensichtlich bereits vom KGB unterlaufen, und schlimmer noch: Viele von ihnen hegten ganz offene Sympathien für die Sowjetunion, die ihnen nach 1920 immerhin wieder zu einer Art armenischem Heimatland verholfen hatte. Seit Anfang der Siebziger waren zudem viele jüngere Libanesen mit armenischen Wurzeln ihren Brüdern aus Palästina in die Abgründe des Terrorismus gefolgt. Und so kam Anna zu dem Schluss, dass sie von den libanesischen Emigranten besser Abstand nahm.
Dann gab es noch die Armenier in Amerika. Anders alsdie Libanesen waren sie in der Regel recht konservative Menschen (viele wählten die Republikaner), deren Hauptanliegen darin bestand, sich so gut wie möglich an das Leben in den Vereinigten Staaten anzupassen. Ein paar Armenier hatten als festangestellte Agenten für die CIA gearbeitet und waren teils zu hohem Ansehen gelangt, doch Stone hatte sich ausgebeten, keine weiteren CI A-Mitarbeiter in die Operation einzubeziehen. Aus ganz ähnlichen Gründen schieden auch die meisten armenisch-amerikanischen Einrichtungen aus: Ihre Vorstände pflegten seit Jahren engen Kontakt zur Regierung – wenn man sie kontaktierte, würden sie vermutlich als
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