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Bezeichnung hätte Taylor wohl kaum für sich finden können. In der feinen Privatschule in New England, die er Ende der Fünfziger für kurze Zeit besucht hatte, galt man unter den Schülern entweder als Posso oder als Neggo. Die Possos glaubten an das Gute, Positive und Korrekte und verhielten sich auch so. Sie kamen immer pünktlich zum Unterricht, lernten fleißig, um gute Noten zu kriegen, trugen brav ihre Schulpullover und saßen im Klassenzimmer in der ersten Bank, ohne dass es ihnen peinlich gewesen wäre. Sie betranken sich nicht und knutschten nicht mit Mädchen – und manche von ihnen kostete das nicht einmal große Überwindung. Kurzum, sie waren anständige Jungs, die das Leben ohne jede Ironie betrachteten.
Die Neggos waren das genaue Gegenteil. Sie verkündeten lauthals, dass sie an überhaupt nichts glaubten, hingen im Gemeinschaftsraum herum und rauchten dort unter dem Schild mit der Aufschrift «Recreant in pacem» eine Zigarette nach der anderen. Sie lasen Zen-Gedichte, hörten Miles Davis und konnten lange Passagen aus «Howl» von Allen Ginsberg auswendig. Wenn sie einmal für die Schule büffelten, dann passten sie auf, dass es niemand mitbekam. Die Neggos waren ständig auf der Suche nach «authentischen» Erfahrungen, und sie fürchteten sich vor nichts so sehr wie vor dem Alltag mit all seinen Petitessen. Auf ihre Weise waren sie professionelle Unzufriedene, und wenn ein Lehrer damals diesen verräterischen James-Dean-Ausdruck im Gesicht eines Schülers entdeckte, rief er schon einmal entsetzt aus: «Mr. Jones, Sie werden mir doch jetzt hoffentlich kein
Neggo
!»
Taylor war ein Neggo geworden, wie er im Buch steht. Das war auch der Grund, weshalb er mitten im Abschlussjahr «geflogen» war, wie die Neggos zu sagen pflegten. Die offizielle Begründung lautete, dass er im Gemeinschaftsraum Karten gespielt habe, aber das taten viele, ohne von der Schule verwiesen zu werden. In Taylors Fall kamen wohl mehrere Dinge zusammen: Er hatte bei einem Elternbesuchstag aus dem Fenster des Schlafsaals gepinkelt, er hatte sich geweigert, den üblichen Persönlichkeitstest mitzumachen, und er hatte bei verschiedenen kleineren und größeren Gelegenheiten lauthals seine Abneigung gegen die Schule und ihre Traditionen kundgetan. Irgendwann war es der Schulleitung dann zu bunt geworden.
Mit dem Makel des Rauswurfs behaftet, musste Taylor nach Hause zurückkehren und sein letztes Jahr auf der heimatlichen Highschool in Connecticut absolvieren. Seine Leistungen waren hervorragend, sein Abschlusszeugnis exzellent, aber weil er wegen des schwarzen Flecks in seiner Schulkarriere weder in Harvard noch in Yale einen Studienplatz bekam, musste er auf die University of Chicago gehen, die in den Augen seines Vaters nur etwas für Juden war. Taylor aber gefiel es dort. Chicago war ein wahres Neggo-Paradies, und er fand immer neue Wege, andere Lebensmodelle auszuprobieren. Er trieb sich in den Blueskneipen der Südstadt herum, wo er Haschisch rauchte und Elmore James spielen hörte, und fuhr häufig nachts nach Indiana Harbor und Gary, wo er mit den Stahlarbeitern aus der Spätschicht Billard spielte. Taylor fand das alles ausgesprochen romantisch – nur die Uni erschien ihm wie ein einziger Witz. Aus Trotz und einer nihilistischen Grundhaltung heraus studierte er nicht Jura, wie seine Eltern es sich gewünscht hatten, sondern Slawistik, was ihm zwar ein Leben als Anwalt ersparte, aber nicht das eines als CI A-Agenten .
Hätte Taylor in einem anderen Jahrzehnt als den Sechzigerjahren studiert und wäre er nicht noch rebellischer gewesen, alsdie Leute es von ihm glaubten, wäre er wohl nie bei der CIA gelandet. Natürlich drohte auch ihm die Einberufung zur Armee, und es kam ihm schon damals ausgesprochen dumm vor, sich in den Vietnamkrieg schicken zu lassen. Aber die Sache war trotzdem komplexer, als es den Anschein hatte. In der Welle der landesweiten Negativhaltung, die auf die Ermordung John F. Kennedys folgte, begannen auf einmal genau die Leute, gegen die er in seiner Jugend rebelliert hatte, sich seine Sicht der Dinge anzueignen. Mit einem Schlag waren all die positiv gestimmten Jungs, die voller Optimismus in die Zukunft geblickt hatten, zutiefst desillusioniert. Plötzlich wollte kein Posso mehr Spion fürs Vaterland werden, sondern lieber zum Peace Corps, bei Friedensdemonstrationen mitmarschieren und in Jazzclubs herumhängen. Und als selbst die Studenten in Yale plötzlich Sit-ins veranstalteten,
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