Das Netzwerk
die Sowjets in den 1920er Jahren ein falsches antisowjetisches Agentennetz geschaffen, über das sie sämtliche Geheimdienste in Europa mit Fehlinformationen gefüttert hatten. Dadurch hatten sie sich praktisch ihre eigene Opposition geschaffen, die sie manipulieren und dirigieren konnten. Das Gleiche machten sie zu Beginn der 1950er Jahre noch einmal, indem sie in den baltischen Staaten zum Schein eine Befreiungsbewegung ins Leben riefen, die dann auch prompt von Großbritannien und Amerika unterstützt wurde.
«Was Rawls hier abzieht, ist eine ziemlich raffinierte Geschichte», sagte Stone. «Mit Sicherheit hat er in Istanbul einen Führungsoffizier, der Kontakt zu ihm hält und seine Berichte nach Jasenewo schickt. Vermutlich ist es jemand, an den wir nicht einmal im Traum denken würden.»
«Mist», sagte Taylor kopfschüttelnd.
«Was ist?»
«Ich glaube, ich weiß, wen die Russen als Kontakt für Rawls benutzen.»
«An wen denken Sie?»
«An eine gut aussehende Frau aus Litauen, die mit dem sowjetischen Generalkonsul verheiratet ist und sich ganz dem Studium Zentralasiens verschrieben hat.»
«Wie rührend», bemerkte Stone.
«Sie sagen es. Wir haben die Frau unter Beobachtung, aber sie hat schon mehrmals ihre Verfolger abgeschüttelt, und wir wissen nicht, was sie danach getan hat.»
«Vielleicht haben Sie jetzt die Antwort.»
Wieder schüttelte Taylor den Kopf. Er erhob sich und machteein paar Schritte an der Reling entlang. «Ich komme mir wie ein Idiot vor», sagte er.
«Dazu besteht kein Anlass», entgegnete Stone. «Im Gegenteil, Sie haben uns eine ziemlich außergewöhnliche Möglichkeit eröffnet.»
Mittlerweile war die Sonne untergegangen, und über dem schwarzen Wasser stieg ein dünner Nebel auf. Es war deutlich kühler geworden. Der Schiffsverkehr hatte nachgelassen, nur noch ein paar kleine Wassertaxis fuhren noch zwischen Yeniköy und Beykoz hin und her. Aus der Ferne hörte man das Signalhorn eines großen Schiffes, das gerade vom Schwarzen Meer in den Bosporus einfuhr.
«Zeit für einen Drink», sagte Stone. Taylor zog eine Flasche Whiskey hervor und brachte einen Toast auf ihren fiktiven Kollegen, Mr. Jack Rawls, aus.
«Eines würde ich noch gerne wissen», sagte Stone, als sie sich ihren zweiten Whiskey genehmigten. «Warum haben Sie eigentlich auf eigene Faust Rawls’ Wohnung verwanzt? Das war doch eigentlich eine Schnapsidee.»
«Weil ich neugierig war. Und weil er mir gestunken hat.»
«Aber es war gegen die Vorschriften. Sie hatten keine Genehmigung dazu.»
«Das stimmt», erwiderte Taylor. «Aber ich habe im Lauf der Jahre gelernt, dass eine Gelegenheit auch vorbeigehen kann, wenn man erst lange auf die Genehmigung dafür wartet.»
«Das müssen Sie mir näher erklären», sagte Stone und sah den jüngeren Mann forschend an. Taylor gab den Blick zurück und überlegte, ob er ehrlich sein sollte.
«Ich werde mal so tun, als ob wir Freunde wären, Sie und ich», sagte Taylor dann.
«Vielleicht werden wir es ja.»
«Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die vielleicht ein wenig besser erklärt, was ich meine. Bevor ich nach Istanbul kam, war ich in Somalia, und da hatte ich einen Informanten in hohen Regierungskreisen. Einen von ganz oben. Es war der Außenminister.»
Stone nickte.
«Wir hatten alle möglichen für ihn nützlichen Informationen über die Äthiopier und die Sudanesen und die Opposition in seinem eigenen Land. Aber offiziell durfte ich natürlich nichts davon an ihn weitergeben. Alles war als STRENG GEHEIM oder STRENG VERTR AULICH gekennzeichnet. Ich fand das lächerlich. Also erzählte ich es ihm trotzdem. Es hat ihm ein paar Mal den Arsch gerettet.»
Stone zeigte keine Reaktion.
«Manchmal muss der Bürochef vor Ort einfach seinem eigenen Urteil vertrauen», fuhr Taylor fort. «Deshalb gibt es uns ja, sonst könnte man gleich alles von der Zentrale aus erledigen. Allerdings glaube ich, dass diese Einstellung Mr. Hinkle nicht besonders gefallen würde.»
Stone nahm einen tiefen Schluck Whiskey. «Mir ist Hinkle zuwider», sagte er nach einer kurzen Pause. «Über die Geschichte mit dem Somali habe ich übrigens in den Akten gelesen, als ich mich vor meinem Abflug über Sie informiert habe. Ich finde, Sie haben diese Sache angemessen gehandhabt. Besser als angemessen sogar. Ich selbst hätte es genauso gemacht.»
Taylor war überrascht von Stone. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend, und auch nicht zum letzten Mal.
«Ich bin versucht,
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