Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)
sind ein Milliardenmarkt, ebenso wie Zeitschriften, Artikel und Bücher über richtige Ernährung. Und schließlich wollen sowohl die Bürger als auch die Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens sehr gern etwas für die Gesundheit tun und nicht tatenlos stillhalten. Daher neigen beide Gruppen dazu, auch auf der Basis unzureichender Daten erst mal zu handeln und dann weiterzusehen.
Die Vermutung liegt ja auch nahe, dass es auf die Details nicht so genau ankommt und das, was sich gesund anhört, schon gesund sein wird. Schließlich geht es bei Vitaminen und Spurenelementen oft nur um exotisch winzige Mengenangaben mit griechischen Buchstaben vornedran. Mehr von diesen sympathischen Substanzen hilft sicher auch mehr oder schadet zumindest nicht, so könnte man annehmen. Dabei ist es der Gesundheit nicht automatisch förderlich, jeden Tag einen Teller Vitaminergänzungen auszulöffeln. In den 1990er Jahren galt Beta-Carotin als harmloses natürliches Krebsvorbeugungsmittel insbesondere bei Rauchern, was sich Mitte der 1990er als Irrtum herausstellte. In Studien mit Patienten, die entweder Beta-Carotin oder Placebos bekommen hatten, lag die Sterblichkeit in der Beta-Carotin-Gruppe nicht etwa niedriger, sondern höher als in der Placebogruppe. Heute geht man davon aus, dass Beta-Carotin gerade bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko erhöht, und das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt, auf die Anreicherung von Lebensmitteln mit Beta-Carotin ganz zu verzichten.
Es wäre also durchaus hilfreich, wenn man eindeutige Unter- und Obergrenzen für die Aufnahme der wichtigsten Nahrungsmittelbestandteile bestimmen könnte. Aber Ernährungsforscher haben einen schwierigen Beruf, und das hat nur nebenbei damit zu tun, dass so viele unterschiedliche Gruppen sich bestimmte und häufig unvereinbare Forschungsergebnisse wünschen.
Alles, was wir uns in den Mund stecken, ob Nahrung, Pillen oder Kräutertees, beeinflusst sich gegenseitig in Aufnahme, Verwendung und Ausscheidung. Unterschiedliche Menschen werten die Nahrung unterschiedlich aus, eine einzelne Substanz kann mehr als eine Wirkung haben, und synthetisch hergestellte Stoffe wirken nicht immer exakt so wie ihre in Naturprodukten enthaltenen Varianten. Bei den chronischen Krankheiten, deren Vermeidung zu den Verheißungen vieler Ernährungsempfehlungen gehört, kommen noch Faktoren wie Gene, Alter, Umwelt und Lebensgewohnheiten hinzu. Von vielen dieser Krankheiten nimmt man mittlerweile an, dass sie multiple Ursachen haben. Nicht jeder, bei dem die Ursachen vorliegen, entwickelt auch die dazugehörige Krankheit, und umgekehrt bleibt nicht jeder, bei dem die Ursachen fehlen, von der Krankheit verschont. Für die Praxis bedeutet das, dass es relativ leicht ist, Mangelerscheinungen an bestimmten Stoffen zu beheben, aber außerordentlich schwierig, herauszufinden, wie man das Risiko chronischer Erkrankungen durch Ernährungsratschläge senken soll.
Die Daten, die man dazu bräuchte, sind aufwendig zu erheben, denn es genügt nicht, zu verfolgen, wie viel Vitamin X der Mensch mit seiner täglichen Nahrung aufnimmt. Vielleicht gibt es keine lineare Beziehung zwischen Aufnahme und Füllstand, weil der Körper die Nahrung je nach Mangelzustand gründlicher oder weniger gründlich verwertet. Genau genommen müsste man daher regelmäßig Blut abnehmen und nachzählen, was so alles im Körper herumschwimmt. Und selbst dann hat man noch nicht herausgefunden, was Forscher und Verbraucher gerne wüssten: Welcher Vitamin-X-Spiegel führt am ehesten zu Gesundheit und Langlebigkeit?
Ist es der, der sich von allein bei Menschen einstellt, die alle Ernährungsempfehlungen ihres zuständigen Ministeriums befolgen? Vom Vitamin D heißt es, in den Wintermonaten seien alle Bewohner von Ländern oberhalb von Norditalien oder spätestens ab der Höhe des Ruhrgebiets unterversorgt, weil das Vitamin größtenteils durch UV-B-Licht in der Haut gebildet wird. Soll man also durch zusätzliche Gaben den Vitamin-D-Spiegel zu erzielen versuchen, der in südlicheren Ländern üblich ist? Und wer weiß, vielleicht wären auch die Menschen im Süden noch gesünder, wenn sie mehr Vitamin D zu sich nähmen? Vielleicht macht die Natur ja entweder gar nicht alles richtig, oder aber ihre Regulationsmechanismen versagen bei Bewohnern der Industrieländer – diese Überlegung liegt vielen Ernährungsrichtungen zugrunde, die zur Einnahme von Nahrungsmittelergänzungen in hoher Dosis raten.
Um das
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