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Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition)

Titel: Das neue Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz , Kai Schreiber
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der Technik bislang insgesamt sieben Nobelpreise gab, mit ein paar Extrapreisen für nicht unmittelbar relevante, aber technologisch notwendige, eher unbedeutende Entdeckungen wie zum Beispiel die der Supraleitung.
    Die Methode, die sich in Deutschland fMRT abkürzt, was für funktionelle Magnetresonanztomographie steht, basiert auf einer 1938 entdeckten kuriosen Eigenschaft der Atome: Wenn man sie in ein Magnetfeld steckt, reagieren sie auf Beschuss mit elektromagnetischen Wellen einer bestimmten Frequenz wie jedes andere vernunftbegabte Geschöpf und schießen zurück. Na gut, so betrachtet vielleicht doch eine gar nicht so kuriose Eigenschaft. Aus der Frequenz, bei der die Atome derart gereizt reagieren, lässt sich nicht nur rekonstruieren, um welche Atome es sich handelt, sondern auch, wie viele es sind und mit welchen anderen Atomen sie sich so rumtreiben, also zum Beispiel, was sie für chemische Verbindungen eingehen.
    Nehmen wir mal ein Wasserstoffatom, das im Hämoglobin-Molekül steckt, also in dem Eiweißmolekül, an das bei fast allen Wirbeltieren der Blutsauerstoff gebunden ist. Es fällt auch gar nicht weiter auf, wenn wir uns eins nehmen, in jedem Milliliter Blut gibt es davon ungefähr 10 23 , oder um es molekularwissenschaftlich auszudrücken: wahnsinnig viele. Dieses Wasserstoffatom reagiert auf Mikrowellenbeschuss unterschiedlich, je nachdem, ob das Hämoglobin Sauerstoff geladen hat – dann heißt das Gesamtmolekül Oxyhämoglobin – oder nicht – dann heißt es Deoxyhämoglobin. Dieser Unterschied liegt dem 1990 von Seiji Ogawa erstmals beschriebenen BOLD-Signal zugrunde, das all die schönen Bilder von Klecksen auf Gehirnen möglich macht und damit die ganze moderne Gedankenleserei. BOLD steht dabei übrigens nicht für «mutig», obwohl die schlechten Wortspiele, die mit der Abkürzung in der Literatur oft gemacht werden, tatsächlich ziemlich mutig sind, sondern für Blood Oxygen Level Dependent, zu Deutsch also «blutsauerstoffkonzentrationsabhängig» oder BSKA. Diese deutsche Abkürzung ist nur schwer auszusprechen, ein Glück also, dass es sie gar nicht gibt.
    Was hat aber Sauerstoff eigentlich mit dem Denken zu tun?, fragt man sich jetzt, und die Antwort ist, dass man für alles, sogar zum Formulieren dieser Frage, Neuronen benutzt. Diese Neuronen haben gefeuert, also anderen Neuronen einen elektrischen Händedruck verpasst. Für diesen Elektrik-Trick braucht so ein Neuron Energie, und die gewinnt es aus einer chemischen Reaktion namens Glykolyse. Diese Reaktion wiederum verbraucht, man ahnt es, Sauerstoff, und der wird vom Blut angeliefert. Der Gedanke, der der fMRT und dem BOLD-Signal zugrunde liegt, ist dieser: Wenn eine Gehirnregion aktiv ist, dann verbrennt sie Sauerstoff. Mit einem Signal, das die Sauerstoffkonzentration im Blut anzeigt, lässt sich also Gehirnaktivität messen und darstellen. Und könnte man dieses Signal obendrein räumlich auflösen, bekäme man Karten der Gehirnregionen, in denen Aktivität herrscht. Man kann dann rote Kleckse auf Gehirnscheiben malen, und die roten Kleckse stehen für Gedanken.
    Das klingt handfest und auf jeden Fall schon mal besser als die Vorgängermodelle Handauflegen und Kristallkugel; aber bei näherem Hinsehen wabern doch noch ein paar Nebelschwaden durch die kristalline Klarheit. Womöglich sogar eine ganze Nebelbank.
    Die erste Vernebelung basiert darauf, dass es nicht nur eine Sorte von Neuronen gibt, sondern mindestens zwei. In Wahrheit sind es natürlich noch viel mehr, aber im Moment geht es um den Unterschied zwischen inhibitorischen und exzitatorischen Neuronen. Das ist Medizinerlatein dafür, dass bei weitem nicht alle Neuronen andere Neuronen anfeuern, sondern viele einander die Aktivität ausreden wollen. Anhand des BOLD-Signales lässt sich zwischen den beiden nicht unterscheiden, nur dass eine Änderung vorliegt, kann man einigermaßen sicher behaupten – zu diesem «einigermaßen» gleich mehr. Vorerst halten wir fest, dass eine Änderung des BOLD-Signales zwischen zwei Aufnahmen bedeutet, dass ein Areal während der einen Aufnahme aktiver oder weniger aktiv war als während der anderen und sich bislang nicht eindeutig sagen lässt, welches von beiden zutrifft.
    Aber es kommt noch schlimmer, und schlimmer heißt in diesem Fall: komplizierter. Nachdem die anfängliche Begeisterung sich gelegt hatte, wurde nämlich schnell klar, dass das BOLD-Signal nicht nur von der Sauerstoffkonzentration abhängt, sondern auch vom

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