Das neue Philosophenportal
Absolutheit gleichzeitig Menschensohn und Gottessohn. Auf diese Weise findet die Menschheit in Jesus Christus
ihre wahre, in Gott begründete Einheit.
Von hier schlägt Nikolaus am Ende des Buches noch einmal den Bogen zu dem Thema, das ihn als Kirchenpolitiker sein Leben lang
beschäftigte: die Einheit der Kirche. Sie findet in jener »Einung der Naturen in Christus« erst ihre Begründung. Nicht ohne
Seitenblick auf das Einigungskonzil zwischen Ost- und Westkirche und einhundert Jahre vor einer erneuten Spaltung der Kirche
in der Reformation postulierte er: »Einigung der Kirche aber ist die größte kirchliche Einigung.«
Wie die modernen Künstler und Denker des Negativen, des Leeren und Gestaltlosen war Nikolaus von Kues im Grunde ein Neuerer
und Avantgardist, der seine Zeitgenossen zunächst verstörte. Doch sowohl sein Gottesbegriff als auch seine Weltsicht hinterließen
in der Philosophiegeschichte tiefe Spuren. Die These von der Unendlichkeit der Welt und der Undenkbarkeit Gottes fand Eingang
in das Werk Giordano Brunos, der dafür auf dem Scheiterhaufen starb. Dass die Widersprüche, in die sich die menschliche Vernunft
verwickelt, von ihr selbst nicht gelöst werden können, findet sich in der sogenannten »Antinomienlehre« in Immanuel Kants
Kritik der reinen Vernunft
wieder. Im Unterschied zu Nikolaus verzichtete Kant aber darauf, hieraus einen Gottesbegriff abzuleiten.
Der cusanische Gott machte auch im Deutschen Idealismus einebemerkenswerte Karriere. Die »Einheit von Einheit und Verschiedenheit« wurde zur entscheidenden Denkfigur in Hegels Dialektik.
Aus dem Gott der cusanischen Theologie machte Hegel das Entwicklungsgesetz, mit der sich die Weltvernunft in der Menschheitsgeschichte
durchsetzt.
Fruchtbar wurde aber vor allem das Projekt, die Grenze der menschlichen Erkenntnisfähigkeit in den Mittelpunkt der philosophischen
Diskussion zu stellen. Dass die Anerkennung des Nichtwissens, dass also intellektuelle Bescheidenheit dem Menschen die Welt
nicht verschließt, sondern ihre produktive Aneignung erst ermöglicht: Dies ist das Erbe der
Belehrten Unwissenheit
, das bis in die Gegenwart reicht.
Ausgabe:
Nicolai de Cusa: De docta ignorantia. Die belehrte Unwissenheit. Lateinisch-Deutsch. 3 Bände. Buch I und II übersetzt und herausgegeben von Paul Wilpert. Buch III übersetzt und herausgegeben von Hans Gerhard Senger.
Hamburg: Meiner 1964 – 1977.
Der Staat als starker Mann
Thomas Hobbes: Leviathan (1651)
Bürger in westlichen Ländern wachen aufmerksam über ihre individuellen Freiheiten und reagieren mit Abwehr und Misstrauen,
wenn der Staat versucht, seine Befugnisse zu erweitern und in diese Freiheiten einzugreifen. In anderen Teilen der Welt jedoch,
in denen das Recht des Stärkeren, Korruption und Kriminalität herrschen, erwarten die Bürger geradezu vom Staat, dass seine
Präsenz stärker sichtbar wird, dass er Rechtssicherheit herstellt und die Bürger vor Willkür und Gewalt schützt.
Doch auch in Westeuropa gab es Zeiten des Bürgerkriegs und der Anarchie, in denen die Menschen sich nichts sehnlicher wünschten
als einen von einem starken Staat durchgesetzten Frieden. Das 17. Jahrhundert, in dem der englische Philosoph Thomas Hobbes lebte, war eine solche Zeit. In diesem Zeitalter der sogenannten
»Glaubenskriege« gab es kaum ein Land, das nicht von blutigen konfessionellen und politischen Konflikten erschüttert wurde.
Frankreich erlebte 1610 die Ermordung Henris IV., eines Königs, der dem Land einen vorläufigen konfessionellen Frieden gebracht
hatte. Deutschland war 1618 – 1648 Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges, in dem Söldnerheere aus ganz Europa das Land verwüsteten. In England spitzte sich
der Konflikt zwischen protestantischen Dissidenten und Anglikanern, zwischen Parlament und König 1642 zu einem Bürgerkrieg
zu, der zur Machtergreifung Oliver Cromwells und zur Hinrichtung des Stuartkönigs Charles I. führte.
Die Erfahrung von Rebellionen, Bürgerkriegen und ständig wechselnden Machtverhältnissen hat in Thomas Hobbes’ staatsphilosophischem
Hauptwerk
Leviathan
tiefe Spuren hinterlassen. Wie Platonin seinem
Staat
wollte er eine politische Ordnung entwerfen, in der Frieden und Stabilität gesichert sind. Deshalb plädiert er dafür, dass
sich alle Bürger und alle Gruppen in der Gesellschaft bedingungslos der Macht des Staates unterwerfen. Nur der Staat als starker
Mann ist
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