Das neue Philosophenportal
ausging, ließ sich dadurch aber nicht verhindern.
Gerade die klassische Periode der deutschen Literatur und Philosophie, von 1770 bis 1830, ist von spinozistischem Geist getränkt.
Lessing bekannte sich offen zu Spinoza, ebenso Goethe und Herder. Der Gedanke einer die Wirklichkeit durchdringenden Weltvernunft
wurde zum Ausgangspunkt der Philosophie des Deutschen Idealismus. Fichte und Schelling, besonders aber Hegel haben auf Spinoza
aufgebaut. Spinozas Forderung nach »Einsicht in die Notwendigkeit« wurde von den Vertretern des Marxismus übernommen, wenn
sie zum Ausdruck bringen wollten, dass der Mensch in Übereinstimmung mit den objektiven Gesetzmäßigkeiten der Geschichte handeln
müsse. Auch Nietzsche hat in Spinozas Weltfrömmigkeit eine enge Verwandtschaft zu seinem eigenen Denken entdeckt.
Die Eigentümlichkeit des Spinozismus liegt aber auch darin, dass er tiefe Wurzeln in der Vergangenheit und gleichzeitig eine
erstaunliche Aktualität hat. Dass Materie und Geist nur scheinbare Gegensätze sind, trifft sich sowohl mit Erkenntnissen östlicher
Religionen und Meditationslehren als auch mit denen der modernen Physik. Spinozas Werk hat die Aura einer Weltanschauung,
die von ganz weit her kommt und gleichzeitig weit in die Zukunft weist. In kaum einem anderen Werk spürt der Leser das, was
seit der frühen Neuzeit »philosophia perennis«, also »ewige Philosophie« genannt wird: den immer wieder erneuerten Anspruch,
in der Kontemplation der einfachen, bleibenden Wahrheiten die Zeit zu überwinden.
Ausgabe:
Baruch de Spinoza: Die Ethik. Schriften und Briefe. Übertragen von Carl Vogl. Revidierte Übertragung und herausgegeben von
Friedrich Bülow. Stuttgart: Kröner 1976.
Was uns die Erfahrung lehrt
David Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (1748)
Erfahrung spielt in unserem Leben eine große Rolle. Wir berufen uns besonders dann auf sie, wenn wir Probleme lösen müssen.
Streikt unser Computer, vergleichen wir den Fall mit ähnlichen, in der Vergangenheit aufgetretenen Fällen, oder wir wenden
uns an jemanden, der mit solchen Fällen Erfahrung hat. Aber auch wenn wir in unserem Leben einmal einen schweren Fehler gemacht
haben, ist es die Erfahrung, aus der wir zu lernen versuchen, um diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden. Ebenso verfährt die
Wissenschaft: Sie schreitet dadurch voran, dass sie aus Erfahrungsdaten die richtigen Schlussfolgerungen zieht.
In Alltag und Wissenschaft genießt die Erfahrung große Autorität. Gewonnene Erfahrung gilt als angehäuftes Kapital und sichere
Grundlage für unsere Orientierung in der Welt. In merkwürdigem Gegensatz dazu steht die Bedeutung, die viele Philosophen der
Erfahrung beimessen. In der Geschichte der Philosophie wird sie häufig wie ein Schmuddelkind behandelt, das sich erst mit
der harten Bürste der Vernunftkategorien schrubben muss, um als Erkenntnis durchgehen zu können. Seit den Zeiten der griechischen
Philosophie gibt es eine alte, beherrschende Tradition, die dem »Geist«, dem »reinen« Denken, den Vortritt vor der »sinnlichen«
Erfahrung lässt.
Eine Ausnahme bildet die britische Philosophie, die eine ganze Reihe von Denkern hervorgebracht hat, die sich mit den Konsequenzen
beschäftigen, die die Philosophie aus der Erfahrung ziehen sollte. Nicht umsonst wurden die britischen Inseln zur Heimat desneuzeitlichen Empirismus, einer Richtung, in der das der Erfahrung entstammende Wissen als Maßstab für Erkenntnis und Wissen
gilt.
Mit dem Schotten David Hume erreicht die britische Tradition des Empirismus ihren Höhepunkt. Hume lebte im Zeitalter der Aufklärung,
deren Programm er noch ein Stück weiter als seine Zeitgenossen ausdehnte. Er ging nicht nur daran, die Spinnweben der Vorurteile
mithilfe der Vernunft zu zerstören, er attackierte im Namen der Erfahrung auch jene Vorurteile, mit denen die Vernunft sich
selbst belügt. Mit seiner
Untersuchung über den menschlichen Verstand
hat Hume so radikal wie niemand vor ihm die Konsequenzen aus dem gezogen, was die Erfahrung uns philosophisch lehrt. Von dem,
was die traditionelle Metaphysik bis dahin als sichere Erkenntnis angeboten hatte, blieb schließlich nicht mehr viel übrig.
Dabei ging es Hume ursprünglich nicht darum, die Metaphysik auszumisten. Er versprach sich von der Beschäftigung mit Philosophie
vielmehr einen neuen, positiven Ausblick auf die Welt und ein Mittel, sein Leben zu ändern. Der junge Hume
Weitere Kostenlose Bücher