Das neue Philosophenportal
war nämlich ein
unglücklicher Mensch, geprägt von einer streng religiösen, dem Geist des Calvinismus verpflichteten Erziehung. 1711 in Edinburgh
als Spross einer traditionsreichen schottischen Familie geboren, nur vier Jahre nach der Vereinigung von Schottland und England,
wuchs er in Ninewells auf, einem kleinen Ort in der südöstlichen Grenzregion des Landes. Gerade in dieser Gegend hatte der
von John Knox im 16. Jahrhundert eingeführte schottische Calvinismus besonders tiefe Spuren hinterlassen. Dazu gehörte die Überzeugung, dass das
Böse im Menschen tief verwurzelt ist. Der calvinistische Gott war ein strenger Gott, der Selbstkontrolle und unablässige Seelenerforschung
verlangte, um auch die geheimsten Verstecke der menschlichen Sünde ausfindig zu machen.
Auch für den jungen Hume wurde Seelenerforschung zu einer täglichen, aber quälenden Gewohnheit und die Vernunft zu einer Instanz,
die beanspruchte, der menschlichen Natur den richtigen Weg zu zeigen. Doch es fiel ihm schwer, seine eigene Natur und die
in ihr angelegten Neigungen zu ignorieren. Das Unbehagen darüber, dass seine religiösen Überzeugungen der menschlichen Natur
dieRolle eines Zöglings in einer Erziehungsanstalt zuwiesen, meldete sich früh. So kam er immer wieder in Konflikt mit den Erwartungen,
die an ihn gestellt wurden. Als man ihn mit fünfzehn Jahren zum Studium der Rechtswissenschaften nach Edinburgh schickte,
folgte er nur widerwillig. Den Lehrbetrieb lehnte er ab. Was ihn wirklich interessierte, waren Literatur und Philosophie.
Aus dem Studium antiker Autoren schöpfte er nicht nur ästhetisches Vergnügen, sondern entnahm er auch das Lebensideal der
Seelenruhe, das den spätantiken Philosophenschulen, insbesondere den Stoikern, als Vollendung des Glücks galt. Doch weder
christliche Askese noch antiker Gleichmut vermochten es, Hume mit sich selbst zu versöhnen. Er wurde immer wieder von Depressionen
und psychosomatischen Störungen heimgesucht.
1729 brach er sein Studium ab und kehrte nach Hause zurück. Nur noch gelegentlich nahm er eine bezahlte Beschäftigung an.
Eine feste Stellung in der Welt fand er nicht, wohl aber verschaffte ihm das väterliche Vermögen die Freiheit und Unabhängigkeit,
seinen philosophischen Neigungen zu folgen. Der Calvinist in Hume lebte aber noch lange fort: Er sorgte dafür, dass Hume eine
große Arbeitsdisziplin entwickelte und mit den ihm zur Verfügung stehenden Geldmitteln peinlich genau haushaltete.
Sein Hauptinteresse galt einer neuen Sicht der menschlichen Natur, die nicht dem rationalistischen oder religiösen Wunschdenken,
sondern der Erfahrung Rechnung trug. So stieß er auf die Tradition des britischen Empirismus, darunter die philosophischen
Väter der modernen empirischen Naturwissenschaften, Francis Bacon und Isaac Newton, aber auch die Philosophen der britischen
Aufklärung von John Locke über George Berkeley, den Grafen von Shaftesbury bis zu Francis Hutcheson, deren Errungenschaften,
wie Hume stolz vermerkte, sich einem Land der Freiheit und Toleranz verdankten. Dort fand er die Methode einer wissenschaftlichen,
sich auf Experiment und Beobachtung stützenden Philosophie und das Bild vom Menschen als einem von Natur aus wohlwollenden
und sozialen Wesen, einem Wesen, das mit einem »moralischen Sinn« ausgestattet ist und nicht ständig wie ein Bonsaibäumchen
zurechtgestutztund von bösen Neigungen befreit werden muss. Von allen Empiristen spielte der in Glasgow lehrende Hutcheson für Hume eine
bedeutende Rolle. Er war einer derjenigen, die dazu beitrugen, Schottland zu einem Zentrum der europäischen Aufklärung zu
machen.
Hume trennte sich vom pessimistischen Menschenbild des Calvinismus und wurde zu einem Anhänger des optimistischen Menschenbildes
der britischen Aufklärung. Damit war auch eine positive Neubewertung der gesamten sinnlich erfahrbaren Welt verbunden. Für
Hume wurden vor allem die erkenntnistheoretischen Konsequenzen dieser Neubewertung wichtig: Wie John Locke und George Berkeley
ging er nun davon aus, dass alle Erkenntnis der Wirklichkeit ihren Ursprung in der Erfahrung hat.
Als Hume 1734 zu einer Frankreichreise aufbrach, hatte er eine Fülle von Notizen im Gepäck, die im Laufe seiner philosophischen
Lektüre entstanden waren. Schon während seines Studiums hatte er den Plan zu einer eigenen philosophischen Schrift gefasst.
Sie nahm nun Gestalt an. Von 1735 bis 1737 mietete er
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