Das neue Philosophenportal
Rousseau ist einer der ersten Philosophen,
der der Rolle des Spielens eine zentrale pädagogische Bedeutung gibt.
Rousseau hatte in früheren Schriften immer wieder das einfache Leben in den Stadtstaaten der griechischen Antike dem verweichlichten
Luxusleben seiner eigenen Zeit entgegengesetzt. Ein besonders positives Bild hatte er sich von dem asketischen Militärstaat
Sparta und dessen Erziehungsvorstellungen gemacht. Mit Blick auf die »spartanisch« erzogene Jugend fordert er körperliche
Abhärtung. Emile soll sich der Natur aussetzen, viel barfuß gehen und auf harter Unterlage schlafen. Ebenso müssen Kleidung
und Ernährung dieser neuen, »natürlichen« Erziehung angepasst werden. Anders als die kleinen Adligen seiner Zeit, für die
bestimmte Kleidervorschriftengalten und die wie Pakete verschnürt wurden, bekommt Emile eine leichte und luftige Kleidung, in der er sich frei bewegen
kann. Emiles Kost hat das Ökosiegel: Einfachheit der Speisen, mäßige Mengen, viel Rohkost und kein Fleisch.
Die intellektuelle Erziehung muss nach Rousseau auf der sinnlichen Erziehung aufbauen und über sie vermittelt werden. So lernt
Emile Begriffe und theoretische Erklärungen immer in engem Zusammenhang mit den sinnlichen Erfahrungen, die er macht. Die
Grundlagen der Geometrie eignet er sich mithilfe des Nachzeichnens von Formen an. Erd- und Himmelskunde lernt er durch unmittelbare
Beobachtung der Natur. Mit Wissenschaften, die in keiner Beziehung zu seinem Erfahrungsumkreis stehen, beschäftigt er sich
nicht.
Rousseau hat ein puritanisches Misstrauen gegen die Fantasie und freie, ästhetische Erfahrungen. Vor allem die Buchlektüre
gilt ihm als die »Geißel der Kindheit«. Bis zu seinem fünzehnten Lebensjahr gelangen keine Bücher in Emiles Hände, mit einer
einzigen, charakteristischen Ausnahme:
Robinson Crusoe
von Daniel Defoe, die Bibel des bürgerlichen Selfmademan, die Geschichte des Mannes, der nach einem Schiffbruch auf einer
abgelegenen Insel landet und sich fern von der Gesellschaft mit eigenen Händen eine Existenz aufbaut
. Robinson Crusoe
erfüllte das, was Rousseau von der Literatur erwartete: Sie sollte belehrend und nützlich sein.
Emile darf kein Intellektueller werden. Er muss lernen, mit den Händen zu arbeiten und sich selbst zu versorgen. Arbeit ist
für Rousseau eine gesellschaftliche Pflicht. Die Gesellschaft hat deshalb auch das Recht, Müßiggänger zur Arbeit zu zwingen.
Deshalb fällt die natürliche Berufswahl auf ein Handwerk. Rousseau plädiert für ein Handwerk, in dem Emile sich nicht, wie
bei der Schmiedekunst, ständig beschmutzt und das gleichzeitig auch geistige Anforderungen stellt. Er schlägt deshalb die
Tischlerei vor.
Erst ab dem fünfzehnten Lebensjahr wird Emile mit der abstrakteren, geistigen Welt, also der Welt der Philosophie, Moral und
Religion, vertraut gemacht. Mitten in sein Buch schiebt Rousseau nun, zur Verdeutlichung seiner religiösen und philosophischenÜberzeugungen, das berühmte »Glaubensbekenntnis eines savoyischen Vikars« ein, das an Erfahrungen anknüpft, die er als junger
Mann mit katholischen Priestern in Savoyen gemacht hat. Es ist das theoretische Herzstück des
Emile
und enthält, von der Maske des savoyischen Vikars kaum verhüllt, das Bekenntnis Rousseaus zu einer konfessionsübergreifenden,
natürlichen Religion ohne Institution und Dogma. Wie andere Aufklärer seiner Zeit macht auch Rousseau einen Unterschied zwischen
der konkreten, historisch bedingten Gestalt der christlichen Kirchen und der wahren christlichen Lehre. Nur sie allein ist
für ihn wesentlich. Sie ist nicht an bestimmte Riten gebunden und lässt sich auf natürliche Einsichten reduzieren.
Rousseaus religiöse Überzeugungen sind auch jene, die in der rationalistischen Aufklärungsphilosophie, z. B. von Gottfried Wilhelm Leibniz oder Christian Wolff, vertreten wurden: die Annahme der Existenz Gottes, der Unsterblichkeit
der Seele und eines freien menschlichen Willens. Sie werden allerdings nicht aus der Vernunft, sondern aus einem »inneren
Gefühl« und der sinnlichen Anschauung abgeleitet. Dieser Lehre entsprechend leben heißt nichts anderes, als ein moralisch
gutes Leben zu führen. »Die Hauptsache auf dieser Erde ist«, so schreibt er, »seine Pflicht zu erfüllen.«
Der Zögling Emile muss irgendwann auch lernen, sich auf andere Menschen und damit auf die Gesellschaft einzustellen. In Rousseaus
Roman ist dieser
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