Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
Brust.
» Ja, das hast du. Aber eigentlich gehört er dir nicht, oder?« Benedict ging vor ihm in die Hocke. » Ich sag dir was: Warum lässt du ihn nicht hier, nur für den Fall, dass der kleine Junge nach ihm sucht? Aber wenn Teddy auf dem Rückweg immer noch im Baum sitzt, dann kannst du ihn haben.«
Langsam zog Harry seine trotzig vorgeschobene Unterlippe zurück. Er lockerte seinen Griff um das Stofftier und sah ihn nachdenklich an.
» Wenn der Junge zurückkommt, freut er sich.«
» Ja, ganz genau«, sagte Benedict.
Harry sah ihn mit seinen großen, goldbraunen Augen an. » Und wenn er nicht zurückkommt, kann ich seinen Teddy haben.«
Benedict nickte.
Mit gerunzelter Stirn sah Harry wieder auf den Bären, dann streckte er ihn Benedict hin. » Du musst ihn an dieselbe Stelle setzen, damit der Junge ihn sehen kann.«
» Das mach ich.« Benedict nahm das Stofftier und stand auf. » Eine gute Entscheidung, junger Mann«, sagte er. » Sehr nett von dir.«
» Ach«, sagte Harry und strahlte glücklich, » auch wenn der Junge ihn kriegt, mein Daddy bringt mir sowieso was mit, wenn er zurückkommt. Er wird mir ganz viele Spielsachen mitbringen.«
Benedict unterdrückte ein Lächeln. Die Logik eines Dreijährigen war schon bewundernswürdig.
Als Teddy wieder auf seinem Baumbalkon saß und Harrys Hand sicher in Benedicts ruhte, spazierten sie weiter mit dem Kinderwagen den Weg hinauf.
» Vermisst du deinen Daddy?«, fragte Benedict Harry.
Darüber musste Harry erst nachdenken. » Es ist schöner, wenn er da ist«, antwortete er. » Aber Arbeiten ist wichtig.«
Ach du meine Güte, dachte Benedict. Wie kommt er denn darauf? Er ist doch erst drei.
» Wieso ist das wichtig?«, wollte er wissen.
» Daddy muss für uns sorgen«, antwortete Harry.
So viel zum Aufbrechen der Rollenverteilung, dachte Benedict. Germaine, Betty, Gloria: Ich fürchte, euer Kampf ist noch nicht vorbei.
» Sorgt eure Mommy nicht auch für euch?«
Auch über diese Frage musste Harry nachdenken. » Doch«, sagte er. » Aber Daddy mehr.«
Das sollte ich eigentlich nicht fragen, dachte Benedict. Es ist unfair gegenüber dem Jungen. Aber ich muss einfach.
» Und was wäre, wenn ihr keinen Daddy hättet, der für euch sorgt?«
Harry sah ihn staunend an. » Daddy wird immer für uns sorgen.«
Er hat keinerlei Zweifel daran, dachte Benedict. Nicht den geringsten. Benedict wusste nicht, ob er das beruhigend finden sollte– oder genau das Gegenteil.
Harry zupfte ihn an der Hand. » Können wir jetzt zurück?«
Eigentlich hatte Benedict frühestens in zehn Minuten umkehren wollen. Aber Harry war angesichts der Verlockung, die auf dem Rückweg lag, schon mehr als geduldig gewesen. Außerdem zeugten Geräusche aus dem Kinderwagen davon, dass Rosies Nickerchen bald ein Ende haben würde. Sie hatte nach dem Aufwachen immer schlechte Laune, und sie mit Zuwendung und Essen zu beruhigen, würde zu weiteren Verzögerungen führen.
» Also schön«, sagte Benedict. » Aber bleib bei mir. Nicht vorausrennen!«
Während sie zurückgingen und Harry vor lauter Ungeduld und Vorfreude hüpfte und sprang, betete Benedict unwillkürlich, dass der unbekannte kleine Junge noch nicht nach seinem verlorenen Teddy gesucht hatte.
Wir müssen alle mit Enttäuschungen im Leben fertigwerden, dachte er, aber das muss ja nicht heute anfangen.
Aishe kam spät aus dem Tierheim, um Benedict aus dem Weg zu gehen. Als sie zu Hause eintraf, entdeckte sie Gulliver in der Küche, der ihre Digitalkamera auf den Küchentisch richtete, wo er ihre sämtlichen Familienfotos ausgebreitet hatte.
» Was zum Teufel machst du da?«, fragte sie.
» Ich will Fotos«, sagte er. » Meine eigenen Fotos. Die speichere ich auf dem Computer.«
Ein berechtigter Wunsch, dachte Aishe. Warum will ich ihm dann am liebsten die Kamera aus der Hand schlagen und alles auf diesem Tisch in kleine Fetzen reißen?
Gulliver neigte sich vor und fotografierte ein Bild seines Cousins ab. Dann sah er auf dem Display des Fotoapparats nach, ob es etwas geworden war.
» Ich hab noch mal eine E-Mail an Onkel Jenico geschickt«, bemerkte er.
Aishe war froh, dass sie gerade einen Schrank öffnete und dessen Tür ihr Gesicht verbarg.
» Ach, ja?«
» Ja– ich wollte ihn was fragen.«
Aishe fand es klüger, das Glas abzustellen, das sie gerade in der Hand hielt. Ihr Griff war gefährlich fest. Sie brachte es nicht über sich, sich nach Gullivers Frage zu erkundigen; sie konnte sich so einiges
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