Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
hättest, schleuderte Aishe ihm entgegen. Ohne dich hätte ich mir niemals die Illusion gemacht, sich sicher zu fühlen, wäre eine Option. Ich wusste, dass das nicht stimmt– ich wusste, dass jeder, den ich liebe, irgendwann mal geht–, aber du hast mich dazu verleitet, an etwas anderes zu glauben. Wenn ich heute mehr Angst habe als früher, dann ist das deine Schuld!
Dieses mentale Scheingefecht schoss Aishe schon seit Tagen im Kopf herum, aber angesichts des bevorstehenden Konzerts hatte sich seine Intensität und Lautstärke verzehnfacht. An diesem Morgen hatten sich gleich zwei Gäste beim Manager des Truck Stop Cafés über ihr Benehmen beschwert. Glücklicherweise hatte dieser gerade einen besser bezahlten Job als Geschäftsführer des hiesigen Spirituosenladens gefunden, und sich deshalb nur für Aishe entschuldigt, ihnen einen Kaffee spendiert und das Ganze vergessen.
So viel Glück hatte sie im Tierheim nicht gehabt. Seit jenem Nachmittag, an dem sie Blackie abgeholt hatten, war Aishe sehr darauf bedacht gewesen, über ihre Klienten zumindest freundlicher zu denken. Ihr Angebot, Blackie bei sich aufzunehmen, hatte sie nicht wiederholt; sie spürte, dass Nico sich innerlich dagegen sträubte, und sie war nicht geneigt, sich eine Ablehnung abzuholen. Dann war der Hund an eine Familie im Ort gegangen, die vernünftig und verantwortungsvoll wirkte und deren Kinder, acht und zehn Jahre alt, ihr neues Haustier vergötterten. Aishe sah zu, wie sie sich alle in einen älteren Kombi drängten, und spürte einen unerwarteten Stich des Bedauerns, als hätte sie etwas verloren, worüber sie sich erst klarwurde, als es nicht mehr da war. Nico war ihr gegenüber zwar freundlich, aber Aishe merkte, dass er Distanz wahrte. Sie versuchte nicht, sich bei ihm zu entschuldigen, hauptsächlich jedoch, weil sie nicht wusste, ob sie seine Vergebung überhaupt verdiente. Stattdessen versuchte sie ehrlich, mehr Toleranz gegenüber den Kunden zu demonsrieren, auch solchen gegenüber, die keine Ahnung hatten, was ein Haustier brauchte. Wenn sie das Herz am rechten Fleck hatten, bemühte sich Aishe zu glauben, dass ihr Verstand es auch dorthin schaffen könnte.
Doch nach den Gesetzen der Thermodynamik geht Energie nicht verloren, sondern wechselt nur ihre Form. In Aishes Fall wechselte sie so, dass sie ihre Aufmerksamkeit von den Kunden auf einen anderen Kreis von Idioten umschaltete– ihre Kollegen. Eine Kollegin trieb sie besonders auf die Palme: die Neue, die lächerlicherweise ›Aja‹ hieß und es ›so süß‹ fand, dass ihr und Aishes Name ›so ähnlich, fast gleich ‹ waren. » Haben deine Eltern dich nach dem Album von Steely Dan genannt?«, hatte Aishe ungläubig gefragt. Aja hatte sie angeglotzt und gefragt: » Wer ist Steely Dan?«
Aja war zwanzig und nahm sich ein Jahr Auszeit, bevor sie Zoologie studieren wollte. Sie hatte, wie eine dieser fetten Kühe vom Empfangstresen mit vielsagendem Blick Aishe erklärt hatte, »ein Händchen mit Tieren. Und mit Menschen. Man muss sie einfach lieben. «
Aja trug keine Hosen mit Gummibund, sondern knallenge Jeans. Sie war hübsch, blond und schlank, hatte aber volle Brüste. Sie sah zwar nicht haargenau so aus wie Izzy, war aber derselbe Typ. Aishe konnte sie auf den Tod nicht ausstehen.
An diesem Vormittag hatte Nico sie in sein Büro gerufen. » Aishe«, hatte er ohne Umschweife gesagt, » Lass Aja in Ruhe.«
Sofort hatte Aishe gereizt reagiert. » Was hat sie dir erzählt?«
» Sie hat mir gar nichts erzählt«, hatte Nico gesagt. » Aber alle anderen machen sich Sorgen.«
Rachsüchtige Stretchhosenkühe, hatte Aishe gedacht. Von Anfang an haben sie jede Gelegenheit genutzt, mir das Messer in den Rücken zu rammen. Doch sie verschränkte nur die Arme und sagte: » Gut.«
Nico hatte sie durchdringend angesehen. » Wenn es hier nicht um die Meinung Dritter ginge– und wenn ich eine offizielle Beschwerde von Aja hätte–, würde ich dich sofort feuern. Das ist dir doch klar, oder?«
Nur das Gefühl, dass sie Nico etwas schuldete, hatte Aishe veranlasst, den Blick zu senken und zu nicken, anstatt ihm kühl die Stirn zu bieten.
» Das ist deine letzte Chance, Aishe«, hatte Nico gesagt. » Die allerletzte.«
Und dann hatte er ein Blatt Papier aus seinem Eingangskorb genommen und diesem seine Aufmerksamkeit zugewandt…
» Gehen wir rein?«, hörte Aishe Mo sagen, » oder stellst du dir gerade das französische Schloss vor, das du von Gullivers Millionen kaufst,
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