Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
war sie auch nicht besonders scharf drauf, dass er blieb. Eigentlich kann er machen, was er will, stellte Aishe fest, er hat immer die Arschkarte. Und wenn schon. Sein Problem.
Am Ende der Straße mit den Redwoodbäumen holte Benedict Aishe ein. Damit hatte er eigentlich nicht gerechnet, aber sie stand auf einer kleinen Lichtung herum und starrte auf den im Schutz der Bäume angelegten Kinderspielplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Als Benedict sich näherte, fuhr ihr Kopf zu ihm herum, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. Benedict schaute hinüber zum Spielplatz, wo er nur sah, was zu erwarten gewesen war: eine Mutter und zwei kleine Kinder.
» Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich dich begleite.« Er wies die Hauptstraße hinunter. » Meine Bushalt estelle l iegt gleich da drüben, ich mach mich auf nach Hause.«
Aishe blinzelte, als würde ihr erst jetzt bewusst, dass er ein Zuhause hatte.
» Wie weit musst du denn fahren?«
» Nicht weit.«
Benedict ging nicht weiter ins Detail, weil er dachte, es würde sie nicht sonderlich interessieren. Selbst wenn er ihr eröffnet hätte, er schliefe unter einer Autobahnbrücke, hätte sie wahrscheinlich nur mit den Achseln gezuckt.
Es war das erste Mal überhaupt, dass Aishe ihn etwas Persönliches gefragt hatte. Plötzlich ertappte sich Benedict bei dem Wunsch, sie fände ihn interessanter. Vielleicht wäre sie überrascht, wie viel– und was– er ihr erzählen konnte.
Tatsächlich aber wurde er überrascht. Denn Aishe sagte: » Danke für den Kaffee.«
» Wie machst du das nur?«, entfuhr es Benedict. » Ansatzlos von gemein zu freundlich wechseln?«
» Ich bin gemein?« Aishe schien aufrichtig überrascht.
» Naja…«, begann Benedict verlegen, kam um eine Erläuterung aber nicht herum. » …höflich bist du jedenfalls nicht gerade.«
» Ach, das…« Aishe starrte wieder über die Straße. » Tja, was soll ich sagen? Ich geb mir Mühe. Aber meistens hab ich keinen Bock.« Sie wandte sich wieder Benedict zu. » Was kümmert es dich, dass ich gemein zu dir bin?«
Benedict war sprachlos. Da ging ein Wunsch in Erfüllung, Aishe fragte ihn tatsächlich etwas Persönliches, und plötzlich fehlte ihm der Mut, ihr zu antworten.
» Die meisten Menschen wollen höflich behandelt werden«, wich er aus.
» Die meisten Menschen?« Aishe hob eine Augenbraue. » Nach meiner Erfahrung wollen die meisten Menschen heiraten, zweieinhalb Kinder bekommen und einen festen Job haben. Sicherheit, Bequemlichkeit, Kontinuität, reibungslos von der Wiege bis ins Grab. Das heißt nicht, dass sie das auch bekommen. Aber sie wollen es. Was heißt, dass wohl keiner von uns beiden wie die meisten Menschen ist. Warum beschäftigt dich also, wie ich dich behandle?«
Rasch überdachte Benedict seine Möglichkeiten. Offen gestanden hatte er zahlreiche Gründe, warum es ihn beschäftigte, und diese Gründe wirbelten durch seinen Kopf wie in einem Wäschetrockner. Das machte es ihm unmöglich, sie einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen, und einzeln besehen schienen sie nur für die Altkleidersammlung zu taugen.
Den einzigen Grund, den er ohne sich zu schämen nennen konnte, war der, dass er ihren Sohn mochte und ihn gern unterrichtete. Gulliver war intelligent, humorvoll und wissbegierig. Peinlich wurde es erst, wenn Benedict sich eingestand, dass ihm an Gulliver auch gefiel, dass er gerade alt genug war, um sein Freund zu sein. Denn Benedict hatte seit der Schulzeit keine Freunde mehr gehabt.
Was Aishe anging, wand er sich jedoch innerlich. Sein erster und beharrlichster Gedanke zu ihr war, dass sie die schärfste Frau war, die er seit seiner Zeit in Rio de Janeiro gesehen hatte. Vor acht Jahren hatte Benedict dort zwei Wochen verbracht– hauptsächlich am Strand. Damals war er fast ununterbrochen schamrot gewesen. Rio war einer der wenigen Orte gewesen, die er mit großer Erleichterung wieder verlassen hatte. Jetzt war Benedict in Sachen Frauen zwar erfahrener und nicht mehr so leicht in Verlegenheit zu bringen, aber dennoch nicht bereit, das Risiko einzugehen, Aishe einzugestehen, dass er für sie schwärmte. Was, dachte er, soll ich denn machen, wenn sie das Interesse erwidert? Am Ende würde ich erleben, wie das Männchen der Gottesanbeterin mitten im Koitus verspeist zu werden! Oder es wie ein Löwe vierzig mal am Tag machen zu müssen!
Allerdings vermutete Benedict, dass es jenseits der pochenden physischen Anziehung noch tiefer liegende
Weitere Kostenlose Bücher